Es geht um einen Mann, der mit seinem fast 50-jährigen fotografischen Schaffen das Bild der Stadt Alfeld noch für mehrere Generationen bestimmen wird:
„Es gab nur eine Möglichkeit, da wieder rauszukommen“, beschreibt Gerhard Kraus seinen Eindruck beim ersten Betreten der Wohnung von Eberhard Püscher, „einen roten Faden am Eingang befestigen und dann hinein“.
Der plötzliche Tod des Alfelder Fotografen hatte den Kreisheimatpfleger, Museumsleiter und engagierten Geschichtslehrer vor einige Probleme gestellt. In der kleinen Mansardenwohnung an der Winzenburger Straße bot sich ihm ein merkwürdiges Bild. Nur von dem Licht einer Glühbirne beleuchtet – die Fenster waren mit Pappen vernagelt – bahnte sich Kraus den Weg durch ein Chaos von Ordnern, Regalen, Kisten, Fotomaterialien und Kleidungsstücken. Schmale Gänge, die gerade Platz für eine Person ließen, führten durch das Labyrinth, bis schließlich in der hintersten Ecke unter einem Regal ein bescheidener Schlafplatz zu erkennen war.
Dass dieses Durcheinander einen unschätzbaren Wert für die Geschichtsschreibung der Stadt Alfeld darstellte, erkannte Kraus sofort. Von der Einschulung bis zur Totenfeier hatte Eberhard Püscher alle wichtigen Situationen im Leben eines Alfelders aufgenommen. Wer kein Foto von Herrn Püscher im Fotoalbum, an der Wand oder auf dem Sideboard stehen hat, gehört sicherlich zu den Ausnahmen in Alfeld. Aber auch Fotos, die man ihm nicht unbedingt zuschreiben würde, wie Ballettaufnahmen oder Aufnahmen von der Bundeswehr, stammen von ihm.
Jeder Chlochard hat sich mehr gegönnt
Seine Familie kam aus Glogau/Oder in Schlesien. Der Vater, ebenfalls Fotograf, wie auch die Mutter, gaben ihre Fähigkeiten, Anlagen und Begabungen an den Sohn weiter. So wuchs der kleine Eberhard zwischen Dunkelkammer und Fotostudio auf und kam schon früh in Kontakt mit der Kunst der Lichtbildnerei.
1946 flüchteten die Püschers nach Alfeld. Bei Else Kreutzburg in der Winzenburger Straße 70 fanden sie eine neue Heimat. 1953 beendete Eberhard Püscher seine Ausbildung vorzeitig, um seinen kranken Vater, der damals 68jährig war, zu unterstützen.
Immer freundlich, das Barett schräg auf dem Kopf sah man ihn von nun an mit einer Kamera vor Groß- oder Kleingruppen stehen. Ganzen Generationen von Schulkindern hat er beigebracht, was es heißt, sich in Geduld zu üben. Mit seinen Ausdrücken „Auf Luke“ und „Bitte Aufmerken“ unterhielt er die einen und brachte die anderen zur Verzweiflung.
Eine gute Aufnahme bedeutete für ihn, sich vor allen Dingen nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Die Perfektion, die seine Abzüge erreichten, gab ihm recht.
Eberhard Püscher bei der Arbeit
Für’n Appel und ’n Ei versteigert
Nachdem bei der Versteigerung seiner Habe die ganzen Gerätschaften in alle Himmelsrichtungen verstreut wurden, wird diese Brillianz und Schärfe, die seine Aufnahmen auszeichnete, wohl unerreicht bleiben. Was Eberhard Püscher alles an Fotoapperaten, Zubehör und weiteren Utensilien in seinen zwei Garagen, zwei Kellerräumen und einer Abstellkammer – die Wohnung war schon erwähnt – hortete, davon hätte man getrost ein Fotomuseum eröffnen können. Andere Kameras waren neueste Technik. Das hatte keiner vermutet, denn fotografiert hat er immer mit den alten Geräten.
Das Tragische dabei ist, daß sein Wissen um Fototechniken für immer verloren gegangen ist.
Als Gerhard Kraus zusammen mit Paul Thorhauer das komplette Archiv holter-die-polter aus dem Gebäude an der Winzenburger Straße 70 räumen mussten, blieb keine Zeit, für eine ordnungsgemäße Archivierung. Schnelligkeit war nötig um diesen Schatz zu retten, das Vorläufige Domizil der „Sammlung Püscher“ ist die Rote Schule. Oben unterm Dach stapeln sich reihenweise beschriftete Kartons und Fotokisten. „Nur ganz grob sortiert“, sagt Gerhard Kraus, der schon 203 Arbeiststunden (1996) investiert hat, um ein System hineinzubekommen. Schülergruppen der Realschule standen ihm tatkräftig zur Seite.
„Der ist mir fast verendet“, beschreibt Kraus den Gesundheitszustand von Paul Thorhauer, nachdem die zwei zusammen die Kisten in die Rote Schule geschleppt haben.
Die Ausstellung, die im Stadtmuseum zu sehen war, setzte sich zum größten Teil aus seinen Aufnahmen zusammen. Bei vielen Bildern weiß Gerhard Kraus nicht, wo sie dazugehören, oder wo sie aufgenommen wurden und wer die abgebildeten Personen sind. Er erhofft sich durch die Besucher mehr über die Bilder zu erfahren und sie zeitlich und thematisch einordnen zu können. „Denn,“ so weiß Gerhard Kraus, „wenn das nicht in den nächsten fünf Jahren passiert, ist es fast unmöglich noch irgendwelche Personen auf den Fotos zu identifizieren.“
Else Kreuzzburg hat sich in jedem Fall auch vorgenommen, die Ausstellung zu besuchen. Sie als ehemalige Vermieterin, kann viel über Eberhard Püscher erzählen. Sie war über 48 Jahre eine Bezugsperson für ihn, wie sie selber sagt. „Er war höflich, zuvorkommend und bescheiden, das kann, man nicht anders sagen,“ meint sie und fügt hinzu, „fragen sie in der Nachbarschaft, sie werden nur Gutes über ihn hören“.
„Er war ein ganz feiner Mann.“
Else Kreutzburg, ehemalige Vermieterin von Eberhard Püscher.
Das Essen hat sie ihm gelegentlich gekocht. „Sonst hätte er nur von Haferflocken mit Wasser gelebt“. Sein Markenzeichen war ein abgetragener Mantel. Er hatte aber, wie sich nach seinem Ableben herausstellte, neue, ungetragene Anzüge im Schrank. Ein weiteres Erkennungsmerkmal hatte er kurz vor seinem Tod noch aufgegeben: sein alter Kadett Kombi, der durch den Austausch diverser Karosserieteile allmählich die Farbe änderte. Kurzum, ein Wagen, dem betrachtende Verkehrsteilnehmer jede Fahrtüchtigkeit absprachen.
„Die Meisterprüfung hat er mit Auszeichnung bestanden“, erinnert sich Else Kreutzburg, „er war ein Künstler, ein Genie“.
Zumindest war er ein brillianter Handwerker, der als einer der letzten die hohe Kunst der Fotografie beherrschte. In seinem „Wohn-Labor“ entwickelte er noch lange die Fotos selbst. Kein Strahl Tageslicht durfte die Entwicklungsprozesse stören, daher die vernagelten Fenster. Aber das störte Else Kreutzburg nicht. Nur als er sich 16 Katzen in der 50qm-Wohnung hielt, hat sie ihn zur Rechenschaft gezogen. Seine besondere Vorliebe war das Radiohören. Meist lief bei ihm ein russischer Sender und angeblich konnte er auch perfekt Russisch sprechen. Einen Fernseher habe er stattdessen nicht gehabt, aber bei anspruchvollen Filmen konnte man ihn gelegentlich im Alfelder Kino treffen. Natürlich in einem abgetragenen Mantel…
Quelle: SIEBEN: Ausgabe Juli 1996 – Text: Heiko Stumpe – Fotos: Heiko Stumpe & Archiv alt-alfeld, einige Textpassagen mit Genehmigung des Autors umgeschrieben von alt-alfeld