Bis ans Ende der Welt
Aufstieg und Niedergang einer Tierhandelsdynastie
Der Mann mochte dreißig, fünfunddreißig Jahre alt sein. Modisch in weiter Bundfaltenhose, mit Krawatte und Hut gekleidet, aber ohne Jacke oder Jackett. Denn, wenn man die Kinder betrachtet, die ihn in ehrfürchtigem Abstand begleiten, war es ein heißer Tag. Ein Tag, der vor 60 Jahren auf einer Fotografie festgehalten wurde. In der Mitte der Szenerie, geführt von dem Mann mit dem Hut, ein ausgewachsener Elefant.
Beim Blättern in einem alten Alfelder Fotoalbum bin ich auf diese vergilbte Aufnahme gestoßen, die so gar nicht in das Bild einer beschaulichen niedersächsischen Kleinstadt passen will. Denn die Straße, auf der sich das Geschehen abspielte, ist unschwer als die Alfelder Kalandstraße zu erkennen. Unter dem Bild steht in sauberer Handschrift: „Elefantenbulle Chang auf dem Weg zur Firma“. Wie sich herausstellt, war „die Firma“ die L. Ruhe KG. in Alfeld/Leine. Ein Handelshaus, das es nicht mehr gibt und dessen Gebäude heute entweder umfunktioniert oder niedergerissen sind. Wovon erzählen diese Fotografien? Eine Spurensuche.
Schlägt man heute das Alfelder Telefonbuch auf, findet man die Namen der Protagonisten auf den Fotografien immer noch. Namen wie Tegtmeyer, Knackstedt, Rasche, Siegfried, Pahl, Wollenweber, Voß, Laue, Darnedde, Kreth, Niemeyer und natürlich Müller. Gewöhnliche Namen, hinter denen sich ein ungewöhnlicher Beruf verbarg. Sie waren Händler, Handwerker oder Bauern. Berufe wie in jeder anderen Kleinstadt auch. In Alfeld aber wurden Bürger schnell zu Weltreisenden eines exotischen Handelsunternehmens, der L. Ruhe KG, eines Versandhauses lebender Luxusartikel. Seltene Tiere wurden gefangen und verkauft.
Überall in der Welt konnte man auf Mitarbeiter von Ruhe treffen. Das zeitweise größte Tierhandelsunternehmen der Welt war ein mächtiges Wirtschaftsimperium. Der Handel mit exotischen Tieren war Anfang dieses Jahrhunderts wie eine Welle, die nach und nach den ganzen Globus erfasste. Alfeld war ihr Epizentrum.
Über 100 Jahre wurde diese Stadt von wagemutigen Abenteurern geprägt. Hermann Ruhe III, der letzte der stolzen Tierkaufleute von Alfeld, hat einmal gesagt, dass jeder auf irgendeine Weise mit Ruhe in Verbindung stand. Die Bauern lieferten Stroh, die Schlachter Fleisch und die Handwerker arbeiteten den Winter über als Tierbegleiter. Selbst industrielle Großbetriebe, wie das Fagus-Werk, profitierten von Ruhe. Man sah indische Arbeitselefanten Holzstämme für die Produktion der berühmten Alfelder Schuhleisten transportieren. Aber das führt an dieser Stelle schon zu weit. Diese Geschichte hat einen Anfang.
Eine Chronologie
Sie beginnt mit einer Liebesgeschichte. Der Ort des Geschehens heißt Grünenplan. Eine kleine abgeschiedene Siedlung, eingebettet in den Kiefernwäldern zwischen Weser und Leine, umragt von den Höhen des Hils. Zu Beginn der Handlung, versetzen wir uns zurück in die 50er Jahre des letzten Jahrhunderts, eine Idylle.
Elisabeth Müller, Tochter eines Vogelhändlers, lernte einen jungen Mann namens Ludwig Ruhe kennen und lieben. Der Sohn eines Grünenplaner Schneidermeisters wurde im Vogelhandel ihres Vaters eingespannt. In dem Hilsort blühte seit Mitte des 18ten Jahrhunderts die Zucht und der Handel mit Kanarienvögeln. Besonders in Glashütten- und Bergbauorten entwickelte sich langsam eine Tradition, die fernab der entstehenden Industriemetropolen einen Nebenverdienst versprach. Vogelhändler wie Müller hatten die Aufgabe, die Tiere von den privaten Züchtern einzuholen und den Transport zu übernehmen. Ziele waren Russland, England und der Vordere Orient. Süd- und Nord-Amerika versprachen der Absatzmarkt der Zukunft zu werden. Es war der Transport in die Seehäfen, der die Leistung der ersten Händler darstellte. Eine Strecke von mehreren hundert Kilometern musste zu Fuß überwunden werden. 160 bis 170 kleine Vogelbauer mit einem Gesamtgewicht von mindestens 50 kg ruhten auf den Schultern der Träger. Doch zurück zu unserem Paar.
Elisabeth heiratete Ludwig. Er lernte das Geschäft mit Kanarienvögeln kennen und fasste daraufhin den Entschluss, es auf eigene Faust zu versuchen. Ruhe gründete seine eigene Handelsfirma und trennte sich geschäftlich von seinem Schwiegervater. Das war 1860. In den ersten Jahren des jungen Unternehmens war es schwer, die nötigen Handelskontakte aufzubauen. Oft war er monatelang in der halben Welt unterwegs.
Der Gründer eines Tierhandelsimperiums: Ludwig Ruhe |
New York – London – Alfeld
Und während der Mann, der selbst aussah wie ein Kapitän, jetzt viel Zeit auf Segelschiffen verbrachte, stieg daheim sein Vaterland unter Bismarcks Hand zum Deutschen Reich auf. Aus dem losen Zusammenschluss deutscher Einzelstaaten wurde schließlich das Deutsche Reich. Im Kielwasser des neu gewonnenen Nationalgefühls und der Großmachteuphorie repräsentierte Ruhe das neue deutsche Bewusstsein. Fern des heimatlichen Geschehens eröffnete er in Lima/Peru 1866 die erste Außenstelle seiner Firma. Der Handel lief jetzt gut an. Oft spielte in den ersten Jahren der Zufall eine Rolle: Einmal geriet er vor Brasilien in einen Sturm. Sein Schiff, schwer lädiert, konnte sich in den Golf von Mexiko retten. Ludwig Ruhe, unversehens in New Orleans gelandet, gründete dort ohne lange zu zögern seine zweite Filiale. Er schätzte die Nachfrage nach den kleinen Vögeln richtig ein und nahm mit Blick auf die hohe Verdienstspanne die Risiken in Kauf. Denn die Schiffsreisen waren nicht ungefährlich und in jedem Fall beschwerlich.
Im Prinzip galt es ja nur, die Tiere von A nach B zu transportieren. Aber das war kein so simples Unterfangen, wie es sich vielleicht anhört. Die Schwierigkeiten, die damals auf dem Weg in die neue Welt zu bewältigen waren, lassen sich in der heutigen Zeit kaum noch abschätzen. 12 Tierreisende ließen für die L. Ruhe KG in tropischen Ländern und auf den Ozeanen ihr Leben.
Schon im darauf folgenden Jahr, 1868, eröffnete er seine nächste Außenstelle, eine besonders wohlklingende Geschäftsadresse: New York! Die Londoner Filiale folgte zwei Jahre später. Den gefiederten Gesellen schlossen sich jetzt auch Säugetiere an. Innerhalb von nur zehn Jahren hatte Ludwig Ruhe somit ein von Amerika bis nach Russland reichendes Handelsnetz gespannt.
Abgeschieden vom Rest der Welt, in den Höhen des Hilses, war die Firma L. Ruhe zu Hause. Aber indem Ruhe den großen Erfolg dieses Handelszweiges schon erahnte, erkannte er auch, dass er seinen Firmensitz würde ändern müssen. Sein Ziel war Alfeld. Das nahe Städtchen war seit 1853 mit der „großen weiten Welt“, via Bahnlinie verbunden.
Mitten im Zentrum dieser beschaulichen kleinen Stadt, direkt am Markt gelegen, wurde in einem ehemaligen Gasthaus von nun an die Luft mit Vogelgezwitscher, Gekreische, im besten Falle mit Gesang erfüllt. Hier war Ruhes neues Refugium, hier fand seine Familie ihr neues Heim, hier endete sein kurzes, ereignisreiches Leben.
1883 starb Ludwig Ruhe, erst 55jährig. Sein Sohn Hermann übernahm von nun an die Geschäfte in Alfeld, der zweite Sohn, Bernhard, ging nach New York.
Wer Ruhe sagt, muss auch Reiche sagen. 14 Jahre vor Ruhe war Carl Reiche, ebenfalls aus Grünenplan kommend, nach Alfeld gezogen. Als der Hamburger Hagenbeck 1844 als Sohn eines Fischhändlers das Licht der Welt erblickte, hatte Carl Reiche seine ersten Reisen über den Ozean schon hinter sich. Trotzdem sollte es der Name Hagenbeck sein, der zum Synonym für Tierhandel wurde. Reiche hingegen war einer der ersten Tierhändler, die exotische Tiere importierten.
Ein Konkurrenzkampf der beiden Familien Ruhe und Reiche entbrannte. Das belebte zwar das Geschäft, aber die zwei Kaufleute erkannten sehr bald, dass sie sich in dieser Form nur behinderten. Schließlich wurde eine Abmachung, ein Pakt geschlossen: Reiche sollte sich auf Großtiere konzentrieren, Ruhe auf Kanarienvögel. Dieser mündliche Vertrag wurde bis 1900 befristet.
Expandieren! Expandieren!
Beiden Firmen tat der „Waffenstillstand“ gut. In der Friedenszeit heiratete Hermann Helene Fricke und 1893 wurde Ludwig II und 1895 Hermann II geboren. Ruhe hielt sich an sein Wort, aber pünktlich zum Jahrhundertwechsel, dem Ende dieses Gentlemen´s Agreement, nahm er den Handel mit Großtieren wieder auf. Und da es etwas aufzuholen galt, platzte das Haus am Markt schon nach zwei Jahren aus allen Nähten. Ein großes Gelände im Osten der Stadt, etwas außerhalb gelegen, wurde erschlossen. Der darauf neu errichtete moderne Gebäudetrakt konnte 1904 in Betrieb genommen werden. Verwaltungsräume, Stallungen für die verschiedensten Tiere und Dressurhallen waren entstanden. Eine Station, die auch den Quarantänevorschriften genügte. Alles wirkte fast überdimensioniert, aber es dauerte nicht lange und das Leben pulsierte an der „Weißen Erde“.
Unternehmerische Weitsicht, der Mut zum Risiko und vor allen Dingen der deutsche Kolonialismus in Afrika ließen das Unternehmen rasch wachsen. Ein Jahr später wurde die Filiale in Queens/New York eröffnet. Expansion mit allen Mitteln!
In Alfeld gab es unterdessen manche heikle und auch manche komische Situation. Beispielsweise der Ausbruch zweier Affen, die zuerst in Nachbars Garten sämtliche Mohrrüben geerntet, dann aber für noch nicht genießbar befunden haben. Daraufhin vergnügten sie sich im Schlafzimmer eines angrenzenden Wohnhauses bei einer Kissenschlacht. Auch der Ausbruch einer Riesenschlange von über sieben Metern Länge wird lange Gesprächsstoff gewesen sein. Und schmunzeln kann man heute, aus der sicheren zeitlichen Entfernung von 70 Jahren, auch über die Anekdote mit dem Eisbären, der ausbüchste und den man schließlich auf der Toilette am Bahnhof wieder fand und bändigte.
Ein Ausspruch wurde zum geflügelten Wort. Man sprach vom „Dschungel an der Leine“.
„Als Reiche sich zur Ruhe setzte, wurde Ruhe reich !“
Die Erweiterung des Unternehmens Ruhe erreichte 1909 einen weiteren Höhepunkt. Carl Reiche, der sich aus dem Tierhandelsgeschäft zurückziehen wollte, übergab sein Unternehmen in die Hände von Hermann Ruhe. Dieser übernahm den mittlerweile geschrumpften Tierbestand mitsamt seinen Fachkräften und Tierreisenden. Jetzt war er in dieser Region ohne Konkurrenz und mehr Menschen als je zuvor waren von ihm abhängig.
Jedes Jahr im November gingen seine Mitarbeiter mit beachtlichen Barmitteln ausgestattet auf große Reise. Im Winter, während ihrer Abwesenheit, war die Saison für Kanarienvögel und wenn die Männer im Frühsommer mit den erstandenen Großtieren wieder eintrafen, wurden diese gehandelt.
Die Kundschaft wuchs stetig. Alfeld wurde zum Mekka in- und ausländischer Zoodirektoren. Wie Kinder in einem Spielzeugladen hätten sie sich damals gefühlt, erzählt der Zeitzeuge Richard Müller später. „Ein Wunderland vor der Haustür“. Müller, der sein Volontärsdasein bei Ruhe als Ehre empfand, wurde später selbst Zoodirektor. Wenn die Kamele Bewegung brauchten und in einer Karawane über die Sieben Berge geführt wurden, war er oft unter denen, die die Halfter hielten.
Familienfoto der Ruhes von 1902: v.l.n.r. stehend Hermann Ruhe (I) Bernhard Ruhe aus New York und dessen Schwiegervater, sitzend: Die Mutter von Hermann Ruhe (III), deren Mutter, Großmutter Ruhe (Witwe des Gründers der Firma), Sophie Ruhe (Frau von Bernhard), Berta Ruhe (Schwester von Hermann Ruhe (II)), Kinder: Bernhards Tochter Elsie, Ludwig Ruhe (Bruder von Hermann (III)), Tilly (Tochter von Bernhard Ruhe) und Hermann Ruhe (III).
Das „neue“ Vogelhaus in der Kalandstraße, 1904 in Betrieb genommen und 1977 verkauft. Auf dem Gelände steht heute das Gebäude der Alfelder Orientierungsstufe. |
Weltkrieg und Währungstaumel
Für die vielen prominenten Gäste, mit denen Ruhe Geschäfte machte, musste ein repräsentatives Gebäude geschaffen werden. So entstand in den folgenden Jahren die „Villa“ schräg gegenüber des Grundstücks an der Weißen Erde. Ein hochaufragender, prächtiger Bau im Zeitgeschmack. Auch die Filiale in New York wurde erweitert.
Aus Südrussland kam in dieser Zeit ein häufiger Gast nach Alfeld: Baron Fals-Fein. Auf seinen riesigen Ländereien hatte er einen Privatzoo aufgebaut und war der Leidenschaft verfallen, seltene Tiere zu halten und zu züchten. Eine Zusammenarbeit, die in den darauf folgenden Jahren nicht mehr fortgesetzt werden konnte, denn es kam zum ersten weltweiten Krieg!
September 1914. Als Freiwilliger wurde der erst 19jährige Hermann Ruhe II an der Westfront stationiert. Der Himmel über Europa verdüsterte sich. Geschäftlich ging jetzt so gut wie nichts mehr. Der internationale Handel mit exotischen Tieren war lahm gelegt. Trotzdem schaffte es Ruhe bis in das Jahr 1917 immer wieder, Sendungen mit Kanarienvögeln bis nach New York durchzubringen. Ein Jahr später war der Krieg aus. Die Kolonien waren verloren und der Handel, besonders der internationale, lag am Boden. Hermann, im Krieg unverletzt geblieben und jetzt in New York, setzte alles daran, den Handel wieder zu beleben. Es sollte ihm gelingen. Sein Plan war, die Tiere jetzt nicht mehr in Alfeld zwischenzulagern, sondern sie gleich in die Vereinigten Staaten zu überführen. Der Erfolg gab ihm Recht.
Welche Faszination diese Umgebung von Exotik und Abenteuertum besonders auf die Jugend ausübte, zeigt der Lebenslauf eines Alfelders, der im Zusammenhang mit Ruhe nicht ungenannt bleiben darf: Alfred Glenewinkel. Sein Elternhaus in der Holzer Straße, direkt zwischen Reiche und Ruhe, war unausweichlich dem Flair des Tierhandels ausgeliefert. Dieser Umstand bestimmte sein Leben. In seinen Memoiren beschrieb er die Szenerie in den Straßen der Stadt, nachdem ein großer Überseetransport der Tierreisenden und Tierfänger angekündigt war: „Die ganze Bürgerschaft war in Aufregung. … Welche Vielfalt an Tieren, welcher Reiz von fremdländischem Anblick zog an mir vorbei. Männer mit großen Tropenhüten, braungebrannt, gewichtig in dem Bewusstsein, nach monatelanger, erfolggekrönter Arbeit in fremden Erdteilen nun wieder in der Heimat zu sein, im Kreise der Familie und der Freunde. Vorüber zog an mir die Karawane. An Halftern geführte Zebras, Giraffen, Büffel, Elefanten, Antilopen u.s.w. Begleitet von den eingeborenen Helfern und Pflegern…“
In den darauf folgenden Tagen suchte dann der kleine Alfred regelmäßig die Ställe auf. Oberwärter August Milte öffnete ihm großzügig das Tor ins Traumreich der Tiere und Sensationen. Alfred wuchs heran und seine Biografie machte einen Knick in Richtung Beamtentum. Doch das Flair des Tierhandels ließ ihn nicht los. Er bat bei Ruhe um eine Anstellung als Tierpfleger. Und während in München der rechtsextreme Demagoge Adolf Hitler seinen ersten Putschversuch unternahm und die junge Demokratie auf eine erste Bewährungsprobe stellte, schob in Alfeld der neue Tierpfleger Alfred Glenewinkel seine erste Karre Mist zur Jauchegrube.
Wir sind jetzt in den Jahren der Weimarer Republik. Die Wirren der Nachkriegszeit erreichten ihren Höhepunkt. Die Wirtschafts- und Währungskrise lähmte Industrie und Handel. Frankreich ließ Truppen ins Rheinland einmarschieren, nachdem Deutschland die angefallenen Reparationslieferungen nicht mehr entrichten konnte. Die Geldentwertung nahm immer erschreckendere Formen an, die Existenz der Firma Ruhe schien gefährdet.
Hermann Ruhe (II) im Alter von 10, links, und sein Bruder Ludwig von 12 Jahren. Ganz rechts Karl Kreth, daneben Oberwärter Siegfried. Die Aufnahme entstand 1905 im Wirtschaftshof an der Weißen Erde. |
Hermann und Hermann
(genannt Männe)
Verlassen wir die Bühne der großen Politik und wenden uns wieder Familiärem zu. Hermann ehelichte Christa Franke und im Frühjahr kam Christel zur Welt. Dann der Rückschlag: im November 1923 starb Hermann sen., gerade 60jährig, an den Folgen einer Lungenentzündung. Hermann jun., inzwischen 28, übernahm daraufhin die Geschäfte in Alfeld. Er schien am meisten von der Risikofreudigkeit und der Durchsetzungskraft seines Erzeugers geerbt zu haben. Im November 1924 wurde Hermann III, genannt Männe, geboren.
Langsam begann eine wirtschaftliche Erholung einzusetzen und es folgte eine kurze intensive Blütezeit. Sie kam dem neuen Firmenchef sehr zustatten. Dem jungen, energischen Mann genügte der bloße Ankauf von Tieren nicht mehr. Er rüstete von nun an eigene Fangexpeditionen aus, die von Alfeld aus mit Lastwagen in die Welt zogen.
Die kanariengoldenen 20er
Auch das große Geschäft mit Zirkussen und Varietés begann. Sie erlebten gerade unerreichte Popularität und der junge Hermann Ruhe II stellte sich sofort auf den neuen Markt ein. So wurde sein erstes Geschäftsjahr zu einem vollen Erfolg, dabei ist sein größter Coup noch gar nicht erwähnt. Der Zoo Hannover öffnete wieder seine Tore und Ruhe wurde damit beauftragt, die Tiere zu stellen. Er nutzte die Chance, verstand es, den Tierpark über Jahre als Kunden an sich zu binden und ihn gleichzeitig als Schaufenster seiner Leistungsfähigkeit als Händler zu benutzen. Er verlieh seine Tiere an den Zoo, konnte mit ihnen aber nach Bedarf disponieren. Lediglich einen festen Bestand musste er vorweisen, der den Wert von 100 000 Reichsmark nicht unterschreiten durfte. Damit war der Stadt Hannover genauso geholfen wie dem Alfelder Tierhändler.
Hermann Ruhe II sollte zu einem Großkaufmann von Auftreten und Ausstrahlung werden, dessen Hilfsbereitschaft in geschäftlichen Angelegenheiten sich schnell herumsprach. Für Außenstehende musste es fast so aussehen, als handele er völlig uneigennützig. Bankrotten Zirkusdirektoren räumte er großzügig Kredite ein, klammen Dompteuren stellte er Tiere und Heimstatt.
Zitat: „In unserem Beruf hat die Tierliebe das Geschäftliche immer auf die zweite Stelle verwiesen,“ sprach er, bedeckte sein Haupt mit dem ihm typischen breitkrempigen Hut, stieg in das große schwarze Cabriolet mit der springenden Oryxantilope als Kühlerfigur und ließ sich zum Alfelder Bahnhof chauffieren. Dort wartete schon eine Lieferung neu angekommener Tiere, die es zu inspizieren galt.
Beseelt von der Liebe zum Tier, behandelte er manchmal Tiere wie Menschen und umgekehrt. In diesem diffusen Licht muss man auch einige seiner großen Erfolge der zwanziger Jahre sehen: das Ausstellen von Menschengruppen fremder Kulturen in Zoologischen Gärten. Die „Lappen-Schau“ mit finnischen Ureinwohnern 1926, die „Somali-Schau“ und die „Lippenneger-Schau“ 1927 legten die damals evidente Kolonialhaltung und die Überlegenheitsgefühle gegenüber anderen Kulturen an den Tag. Ruhe gehorchte dem Zeitgeschmack.
Und wieder waren die Konsequenzen in Alfeld spürbar. Fremdländische Sitten und Gebräuche trafen zuerst hier auf die europäische Kultur. Was mit Kanarienvögeln so harmlos begann, wurde für manchen Einwohner zur ernsten Bedrohung durch das Fremde.
Schwierigkeiten bereitete unterdessen die Eingewöhnung der Tiere in ihrer neuen Heimat. Die klimatischen Umstellungen waren so groß, dass aus diesem Grund immer wieder Tiere eingingen. Von Saison zu Saison kamen jetzt mehr und mehr Tiere und es war an der Zeit, wieder einmal über eine Erweiterung der Tierunterkünfte nachzudenken. Als Lösung der Probleme bot sich ein kleiner privater Tierpark an der französischen Riviera, in Cros de Cagnes, an. Eine Akklimatisierungsstation wurde im warmen Mittelmeerklima eingerichtet. Das Geschäft lief blendend. Es wurden die Tiere weiterhin in den Herkunftsländern gefangen oder gekauft und dann im Akklimatisierungspark, im Hannoverschen Zoo, in New York oder in Alfeld weiter verkauft. Einmal konnte Ruhe 25 seltene Orang Utans aus Sumatra importieren. In Alfeld eingetroffen, wurden sie ihm von Zoobesitzern förmlich aus den Händen gerissen. Insgesamt waren es 122 Tiere dieser seltenen Gattung, die durch seine Hände gingen. Sumatra verbot daraufhin die Ausfuhr. Die Population schien in ihrem Fortbestand gefährdet. Ruhe störte das nicht besonders. Er hatte sein Geschäft gemacht und sein Hauptinteresse lag derzeit auch eher auf dem afrikanischen Kontinent. Die in Europa noch selten gehaltenen Giraffen brachten hohe Preise und viel Prestige.
Zu dieser Zeit war die Firma L. Ruhe KG schon die größte Tierhandlung der Welt. Ebenbürtig war allenfalls noch der Hamburger Hagenbeck, der es in der Zwischenzeit vom Fischhändler zum Zoo- und Zirkusdirektor gebracht hatte. Mit ihm verband Ruhe freundschaftliche Konkurrenz. Es schien sogar genug Geld zur Finanzierung gewagter Transaktionen vorhanden zu sein. Einmal wurden bei einer missglückten Expedition 80000 Mark in den afrikanischen Wüstensand gesetzt. Solche Summen waren zu verschmerzen, weil im Gegenzug mit 150 000 Kanarienvögeln pro Jahr ein Rekordumsatz erzielt wurde.
1929 stand wieder eine Weltwirtschaftskrise vor der Tür und mit den darauf folgenden Unruhen zogen die langsam erstarkenden Nationalsozialisten ins Weimarer Parlament ein. Die Massenarbeitslosigkeit ebnete die Moralgebirge im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie, die bald eine Gleichschaltung der Parteien zur Folge hatte. Hitler gelang es, im zweiten Anlauf die Macht im Staat zu übernehmen. Er gab den Menschen Arbeit und Illusionen. Die Straßen färbten sich im Fahnenmeer…
…weiß, schwarz und rot
Doch blicken wir noch einmal zurück zum Zoo Hannover. Bisher hatten Ruhe nur die Tiere gehört, 1931 übernahm er den ganzen Zoo. Die Stadt Hannover hatte ihn darum gebeten, denn ihre wirtschaftliche Situation war desolat. Ein Probejahr mit Herman Ruhe als Zoodirektor war geplant, 40 Jahre blieb er schließlich in seinen Händen! Jetzt hatte Ruhe den Aufstieg in die Riege der Tiergärtner geschafft. Er zeigte dem Publikum nie gesehene Tiergroßgruppen, er baute auf die Attraktivität immer neuer sensationeller Seltenheiten und wechselnder Bestände. Aber er war immer noch Händler und sein geschäftliches Interesse am Weiterverkauf der Tiere blieb immer noch dominant. So wurde der Zoo zur Verkaufsausstellung, zum „Stauraum“ wie manche kritisierten. Trotz einer Steigerung der Besucherzahlen verbesserte sich die Finanzlage des Zoos kaum. Dazu kam die wieder steigende Inflation und die Kosten, die die Umgestaltung und Modernisierung der Anlagen verschlang. Trotzdem entschied sich Ruhe 1939 dazu, seinen ganzen Betrieb nach Hannover zu verlegen. In die Tat konnte er seinen Plan nicht mehr umsetzen, denn er hatte seine Rechnung ohne die gemacht, die in Deutschland das Sagen hatten und das Land in unausweichliche außenpolitische Konflikte trieben. Und mit dem zweiten Krieg in diesem Jahrhundert kam die schlimmste Zeit, die das Land und die Firma Ruhe je gesehen hatte.
Als die ersten Bomben auf Hannover fielen, wurde auch der Zoo nicht verschont. Das Leben von Mensch und Tier war in Gefahr. Es begann die Zeit der Evakuierungen. Ruhe muss froh gewesen sein, diesen Schritt von Alfeld nach Norden noch nicht getan zu haben. Das Refugium im Leinetal wurde für ihn und seine Tiere zur letzen Rettung.
Überspringen wir hier einige schicksalsträchtige Jahre und blicken auf den Herbst 1944. Die Lage hatte sich nach fünf Jahren Krieg gewandelt. Das Land stand vor dem militärischen Desaster und der wirtschaftliche Kollaps drohte. Jetzt konnten nur gute Verbindungen in Partei und Verwaltung eine ausreichende Versorgung von Mensch und Tier sicherstellen. Hannover war ein Trümmerfeld, während in Alfeld das industrielle Leben mit Zwangsarbeitern aufrechterhalten wurde. Das Gelände an der Weißen Erde war jetzt zur Arche Noah für evakuierte Tiere und zur Lagerunterkunft für Kriegsgefangene geworden. Alle brauchten gleichermaßen ein Dach über dem Kopf. Noch ein halbes Jahr und der Krieg war aus. 118 Bombentrichter verteilten sich bei Kriegsende allein auf dem Gelände an der hannoverschen Eilenriede, kaum ein Tierhaus blieb unbeschädigt.
Ein Teil der Belegschaft 1938 vor den Stallungen, Kalandstraße |
Aus Schutt und Asche
An Tierhandel dachte jetzt kein Mensch. Die nazistischen Wahnsinnsgelüste hatten weltweit dafür die Türen zugeschlagen. Die Domäne der Deutschen als Tierhändler war gebrochen.
Um Politik hat sich „ein Ruhe“ nie groß gekümmert. Weltanschauung war kein Thema. Sie versuchten sich immer, so gut es ging, zu arrangieren, mit den britischen Besatzern galt es in den Nachkriegsjahren genauso auszukommen, wie mit den braunen Machthabern vorher.
Ja, im Freundes- und Bekanntenkreis waren Widerständler gegen Hitler, aber Ruhe versuchte sich aus allem rauszuhalten. Seine ganze Energie, seine Zeit, sein Geld, flossen in das Überleben des Unternehmens. Später, zu Zeiten des Kalten Krieges hielt er die Kontakte in den Osten Deutschlands aufrecht und arbeitete zudem weiterhin mit Zoos in aller Welt zusammen, auch in Kuba und Libyen … ausschließlich aus geschäftlichem Interesse.
Schon ´46 wurden die Tore des Zoos Hannover wieder geöffnet. Die Zerstreuung suchenden Hannoveraner stürmten herbei und obwohl es schon im Eröffnungsjahr zu Besucherrekorden kam, besserte sich die wirtschaftliche Lage des Unternehmens nicht. Ruhe wollte investieren, aber er wusste partout nicht wo. Wer wollte jetzt schon seine Tiere kaufen? Die Menschen hatten andere Sorgen. Im Sommer ´48 bot sich endlich eine lang ersehnte Gelegenheit. In Gelsenkirchen wurde ein Zoo geplant. Ruhe ließ sich diese Chance nicht entgehen und setzte alles in Bewegung, den Auftrag für die Planung zu ergattern. Hier taucht der Name eines alten Bekannten wieder auf, den wir schon vorher erwähnten: Alfred Glenewinkel. Er nahm den Aufbau in seine Hände und schon Ostern ´49 konnte der neue „Ruhrzoo“ eröffnet werden. Das Organisationstalent Glenewinkel und Ruhes logistische Übersicht ließen diesen Kraftakt zu einem vollen Erfolg werden. Der Mann, der seine überschüssige Energie auf dem Tennisplatz, neben den roten Backsteinbauten seiner Alfelder Quarantänestation, austobte, ging jedes Risiko ein.
Bis hierhin liest sich die Geschichte der Firma L. Ruhe wie eine Reihe ununterbrochener Erfolge. Ein einziges Expandieren, und wenn man von den Kriegswirren absieht, ein stetiger Aufstieg zu einem Unternehmen von Weltgeltung. Aber jetzt, nach dem Krieg, waren seine Handelskontakte allesamt nichts mehr wert. Tiere waren fast unmöglich zu beschaffen. Ein neuer Geschäftszweig versprach Besserung. Die „Hermann Ruhe Überseehandels AG“ wurde deshalb zusammen mit einem Schweizer Unternehmer namens Truoch gegründet. Und jetzt kam es zum ersten unternehmerischen Fehlschlag, denn diese Kooperation scheiterte. Truoch kam nicht aus der Branche, er wollte Geld anlegen, aber kein Herzblut. Die Gesellschaft wurde wieder aufgelöst und Ruhe übernahm die Geschäfte wieder allein. Auch ein familiärer Bruch folgte. Christa und Hermann sen. trennten sich. Er blieb nicht lang allein. Seine zweite Frau wurde Lieselotte Geibel.
Neu motiviert ging Ruhe wieder einer seiner Lieblingsbeschäftigungen nach: Er gründete die „Tanganyika Game Ltd.“, zum Fangen von Tieren im ehemaligen Deutsch-Ost-Afrika, dem heutigen Tansania. Jetzt unternahm er Reisen in Länder, die er vorher nur aus den Beschreibungen seiner Angestellten kannte. Mittlerweile 64jährig, fuhr er mit Lieselotte nach Afrika. Der Artenreichtum früherer Tage hatte schwer gelitten und Ruhe traf in den endlosen Steppen auf die Restbestände einstiger reicher Tierherden. Jetzt mussten immer weitere Reisen in immer entlegenere Winkel des Kontinents unternommen werden. Bis in die letzten unberührten Gegenden, bis ans Ende der Welt.
In den 50er Jahren erreichte der Tierhandel noch einmal für kurze Zeit das Vorkriegsniveau, in den 60ern ging er immer mehr zurück. Das Wirtschaftswunder boomte an ihm vorbei.
Die Zoos waren jetzt zunehmend selbst in der Lage, ihren gesamten Bedarf an Tieren durch Eigenzucht oder Tausch mit anderen Parks zu erhalten. Die Zuchterfolge konnte man darauf zurückführen, dass die Tiere endlich ihren natürlichen Lebensgewohnheiten entsprechend gehalten werden konnten. Steigende Besucherzahlen schienen diesen Wechsel von der Ausstellungs- zur Zuchtstätte zu belohnen. Auch der Zoo Hannover hatte sich unter dem neuen Direktor Hermann Ruhe jun. in diese Richtung entwickelt und wurde in manchen Aspekten sogar zum Vorreiter.
Für viele Alfelder ging der Rückgang des Tierhandels mit einem Ausstieg aus diesem sehr männlichen Gewerbe einher. Die Bevölkerung Alfelds integrierte diesen besonderen Menschenschlag, von dem man sagt, er hätte eine ganz eigene Mentalität gehabt. Sie waren Männer der Tat und sie wurden schnell zu Despoten. Sie lebten an der Peripherie der Gesellschaft und gehörten trotzdem zum öffentlichen Interesse. Sie galten als eigenwillig, zielstrebig, herrisch und ein wenig stur. Und sie konnten einem gehörigen Respekt einflößen.
Um die aufkommenden Tierfangbegrenzungen zu umgehen, begann sich Fang und Export exotischer Tiere immer mehr auf illegaler Ebene abzuspielen. Hermann Ruhes Sache war das nicht. Die Zeit der Importe und Importeure war vorbei. Noch 1969 stellte das Team Ruhe/Glenewinkel eine Autosafari auf Mallorca auf die Beine. Das „Reserva Africana“ war das letzte große Aufbäumen des Firmenimperiums Ruhe. Nun wohnen wir dem Niedergang bei, der nicht rasant, aber stetig vonstatten ging. 1972 übernahm die Stadt Hannover aus den Händen von Hermann Ruhe jun. (III), seit 1961 auch offizieller Firmenchef, die Führung des Zoos. Auflösungserscheinungen setzten ein: die Filiale in New York wurde aufgelöst. Die Gesetze zur Einschränkung des Handels mit vom Aussterben bedrohten Arten griffen endlich. Mit dem Washingtoner Artenschutzübereinkommen von 1973 wurde ein weiterer Schritt in Richtung Erhaltung der Artenvielfalt getan.
Für den Tierhandel traten jetzt Regelungen in Kraft, die einen drastischen Einschnitt in die Struktur dieses Handelszweiges bedeuteten. Der legale Handel verebbte mehr und mehr, der illegale begann sich auszudehnen. Mittlerweile war auch in den abgelegensten Winkeln unseres Erdballs die Logistik vorhanden, um aus dem Leid von Tieren Kapital zu schlagen. Kleine Händler bekamen die Chance, den launischen Zeitgeschmack der privilegierten Welt mit exotischen Raritäten zu befriedigen. Sie nutzten sie bis heute. Selbst städtische Zoos sehen sich gezwungen, aus ominösen Quellen zu kaufen, da die öffentlichen Geldquellen versiegen.
Rückzug in Raten
In Brunkensen, einem Ortsteil Alfelds, wurde 1972 auf den Grundmauern eines Wildparks ein kleiner Zoo eröffnet, in Wingst bei Hamburg ebenso. Die Firma lernte, sich den geänderten Umständen anzupassen. Aus dem Tierhandelsunternehmen wurde Mitte der 70er Jahre ein Dienstleistungsunternehmen, das sich hauptsächlich mit Planung und Organisation neuer Zoologischer Gärten, Tierparks und Safaris beschäftigte. 1977 wurde das Gelände an der Weißen Erde verkauft und wich einem Schulbau. Der betagte Seniorchef, Hermann II, meist hielt er sich schon nicht mehr in Alfeld, sondern in der Schweiz auf, starb 1978. Nach seinem Vater Hermann I wurde in Alfeld posthum schnell noch eine Straße benannt.
Trotz vieler Aktivitäten konnte Hermann Ruhe III das stetige Schrumpfen des Unternehmens nicht mehr aufhalten. Allein 15 Autosafaris rief er ins Leben. Eine unternehmerische Meisterleistung. Einige wurden für kurze Zeit weiter betrieben, andere verkaufte er gleich wieder. Die letzte Safari, die auf Mallorca, entließ er 1990 aus seiner Obhut, und mit ihr 300 Tiere. Im November ´93 musste der Firmenchef Vergleich anmelden. Der Vorhang fiel zum letzten Mal und der hannoversche Konkursverwalter Kretschmer betrat die Bühne, die für viele Alfelder einmal die Welt bedeutete.
Der Aufstieg der Firma Ruhe war nicht allein dem unternehmerischen Geschick ihrer Väter zu verdanken, es war die Zeit mit all ihren Unberechenbarkeiten, die zum Aufblühen dieses Handelszweiges beitrug. Es war nicht Berechnung und Kalkül, das Ludwig Ruhe 1860 zur Firmengründung veranlasste und er konnte nicht im Mindesten absehen, welche Auswirkungen seine Entscheidung zur Selbständigkeit haben würde. Vielleicht war es Glück, vielleicht Gespür. Die Branche Tierhandel musste zwangsläufig aufblühen, auch ohne ihn. Das Ende, der Niedergang des Welttierhandels, war abzusehen und an Hermann Ruhe (wir kennen ihn noch als Männe), lag es, dies mit anzusehen.
Mittlerweile selbst im Seniorenalter, reist dieser Mann mit der Würde und Ausstrahlung eines Grandseigneurs immer noch durch die Welt und berät Zoos und Safariparks. Er hat einmal gesagt, dass irgendwie alle Alfelder mit Ruhe verbunden waren, aber das war vor langer Zeit. 1995 wäre das Unternehmen 125 Jahre alt geworden. Länger als ein Menschenleben. Zurück bleiben die Erinnerungen an die goldenen Jahre des Tierhandels, an den Gesang der Kanarienvögel und an Straßen voller exotischer Tiere – festgehalten auf vergilbten Fotografien, die sich in so manchem Alfelder Familienalbum finden lassen. Kleinformatige Erinnerungen an eine große Zeit.
Text: Heiko Stumpe
Alfred Glenewinkel schrieb in seinen Erinnerungen:
„Es war im Januar 1900. In einer Kleinstadt, an den Ausläufern des Harzes, wurde ich geboren.
In Alfeld an der Leine!
Das wurde mir zum Schicksal.
So klein das Städtchen war, barg es interessante Industrie in seinen Mauern…
Unzweifelhaft das Interessanteste waren die zwei rund um den Erdball verbreiteten
Tierhandelsgroßfirmen C. Reiche und L. Ruhe…“
Alfred Glenewinkel wurde im Januar 1900 in Alfeld an der Leine geboren. Der Name der Familie deutet auf den nahe Alfeld in die Leine mündenden Glenebach hin und zeugt von der langen Tradition, die diese Familie in Alfeld hatte. Sie waren Metzger, Knochenhauer wie man damals gesagt hätte, und auch ein Scharfrichter, also ein Henker, soll aus ihren Reihen stammen. Auf dem Foto sehen wir Alfred Glenewinkel als jungen Mann, der die jungen Gorillazwillinge Bobby und Pauline auf dem Arm hält. Obwohl er die Beamtenlaufbahn eingeschlagen hatte, wechselte er zum Tierhandel und wurde schließlich Zoodirektor in Gelsenkirchen.Er starb am 22. April 1996 in Alfeld. |
Normalerweise könnten wir noch seitenweise weiterschreiben über die Tierhandelsfirma Ruhe, wir haben diese hier aber stark abgekürzt.