Der Bau der Eisenbahnlinie Kassel – Hannover (1852/ 54) förderte die Industrialisierung und schuf bedeutende Gewerbezweige, so auch Schuhleistenfabriken wie das Faguswerk Carl Benscheidt.
Die Schuhleistenfabrik Fagus ließ sich ein Industriegebäude errichten, das eines der architekturgeschichtlich wichtigsten Industriebauwerke des frühen 20. Jh. werden sollte.
Die an der Hannoverschen Straße gelegenen Betriebsgebäude waren 1911-18 nach industrietechnischer Grundplanung von Eduard Werner (Hannover, 1910) und Gestaltungsplänen von Walter Gropius in Konkurrenz zum gegenüberliegenden Werk Carl Behrens errichtet worden und gelten als Beispiel moderner Architektur von internationalem Rang.
Die Fabrik ist in mehreren Phasen entstanden. Ältester Teil ist das längs der Eisenbahn liegende dreigeschossige Bürogebäude mit sich anschließendem Maschinen- und Lagerhaus (1911-13). Der Erweiterung von 1913/14 gehört der zumeist auf Fotos abgebildete vordere Teil des Bürohauses mit dem Eingangstrakt an, der als Fortsetzung des Bauteils von 1911 errichtet wurde. Dieses Bürohaus verfügt über den ersten >curtain wall<, eine Vorhangfassade vor inneren Stützen bzw. Decken. Der dreigeschossige Hauptbau umgibt die niedrige Fabrikationshalle. Die nordwestlichen Anbauten sind das Maschinenhaus, das Kesselhaus und das Trockenhaus. Abgesondert, etwas weiter nordwestlich, befinden sich die Sägerei, die Dämpferei und das Lagerhaus. Südöstlich des Hauptgebäudes steht als ebenfalls niedriger Bau die Stanzmesserabteilung. Zur Straße hin sind dem Komplex Lagerbauten sowie das 1925 in Anlehnung an Kunstformen von De Stijl errichtete Pförtnerhaus vorgelagert.
Ein Museum erinnert an das Wirken von Walter Gropius.
Text aus: BAL-Broschüre „Alfeld (Leine) – Kleiner Stadtrundgang.
Eine Kurzbiographie von Carl Benscheidt, dem Gründer des Fagus-Werks und eine ausführliche Beschreibung des Weltkulturerbes, sowie einen Fim mit einem Firmenportrait finden Sie hier.
Aus der Sicht eines Alfelders:
Ein weiterer Alfelder Industrieller wurde 1858 im Bergischen Land geboren. Es handelt sich um Carl Benscheidt d. Ä.
Da er von Kindheit an Schwierigkeiten mit seinen Füßen hatte, hat er sich mit der Herstellung ordentlicher Schuhe beschäftigt. In Hannover hatte er eine Schuhmacherwerkstatt, in der er 12 Gesellen beschäftigte. Aus diesem Grunde kam er mit Herrn Behrens aus Alfeld zusammen, der gerade sein Werk in Alfeld aufgebaut hatte. Als dieser merkte, welche Ahnung Herr Benscheidt von der Herstellung von Schuhen und Schuhleisten hatte, bot er ihm eine Stelle als Technischer Betriebsleiter an. Nach längerem Zögern sagte Herr Benscheidt dann zu und nahm 1887 die Stelle als Betriebsleiter an.
Als erstes sorgte er dafür, dass im Betrieb während der Arbeitszeit keine alkoholischen Getränke zu sich genommen „wurden. Dann führte er ei, dass linke und rechte Schuhleisten hergestellt wurden. Weil viele Familien der Arbeiter der Fa. Behrens noch in Kaierde wohnten und der Weg täglich von zu Hause nach Alfeld zu weit war, übernachteten diese in einem Schuppen vor ‚m Werkstor.
Das bewegte Herrn Benscheidt dazu, die Wohnungsbaugenossenschaft zu gründen, damit die Beschäftigten in Gerzen und am Rodenkamp Siedlungshäuser bekamen.
Nachdem Herr Behrens gestorben war, hatte Herr Benscheidt die technische und Herr Bertram vom Dohnser Weg die kaufmännische Betriebsführung.
Anfang des 20. Jahrhunderts bestanden zwischen einem Schwiegersohn des Herrn Behrens und Herrn Benscheidt Meinungsverschiedenheiten, die dazu führten, dass Herr Benscheidt die Fa, Behrens verließ.
Als Technischer Betriebsleiter hatte Herr Benscheidt Kontakte mit einer großen Schuhfabrik in Amerika bekommen, die ihn dann einluden nach Amerika zu kommen um sich die dortige industrielle Herstellung von Schuhen und Leisten anzusehen. Daraufhin fuhr er mit seinem Sohn dorthin und gründete nachdem er neue Techniken kennen gelernt hatte 1911 sein eigenes Werk das Fagus Werk. Die Zeichnungen für die neuen Fabrikhallen waren bereits bei einem Hannoverschen Architekten angefangen, als Herr Benscheidt den jungen Architekten Walter Gropius kennen lernte, der hier beim Landrat Burchardt zu Besuch war.
Gropius diskutierte mit Herrn Benscheidt über moderne Fabrikanlagen und überzeugte Herrn B., der für alles Moderne aufgeschlossen war, einen Betrieb zu bauen, in welchem die Werkhallen hell, freundlich und gelüftet zu sein hatten. So wurde nun das neue Werk als Prototyp für zukünftige Werke gebaut. Als die Fabrik fertig war, begann der 1. Weltkrieg und es dauerte Jahre bis die Produktion richtig in Gang kam. Später kaufte das Fagus-Werk die angrenzende Fa. Karl Petri, welche Wettertücher herstellte und einen Kohlenhandel betrieb.
In diesem Werk wurde eine kleine Maschinenfabrik aufgebaut, in der man zunächst Maschinen für den eigenen Gebrauch herstellte. Vor allem wurden Kopierdrehbänke gebaut, auf denen auf einer Seite das Modell eingespannt wurde und auf der anderen Seite das Werkstück 100%tig entstand. Diese Drehbänke arbeiteten so präzise, dass wenn man eine Briefmarke aufs Modell klebte, diese auf dem Werkstück gefühlt werden konnte. Durch die soziale Einstellung der Herren B. wurde das Werk geehrt, dass man ihm die Goldene Fahne verlieh und er sich Musterbetrieb nennen durfte. Neben der Schuhleistenfertigung wurden später aus Rüstungsaufträge ausgeführt wie zu Kolben für das M. G. 42. Gegen Kriegsende wurden am Nordende des Werkes noch 2 Hallen errichtet in denen aus Graphit Leitwerke für die Vergeltungswaffen gedreht wurden.
Nach dem 2. Weltkriege wurden zunächst Holzsohlen für Sandalen und Handwagen hergestellt. Nach der Währungsreform war das Werk zunächst gut beschäftigt bis die Schuhindustrie ihre Produktion auf Kunststoffleisten umstellte und Kunststoffleisten einsetzte. Durch diese Umstellung wurde nur noch ein Bruchteil der Leisten benötigt und bei Fagus setzten Kurzarbeit und Entlassungen ein. Ein Schwiegersohn der Familie B., der in Springe eine Möbelfabrik betrieb, kaufte dann das Werk seinem Schwager, der den Betrieb inzwischen übernommen hatte ab. Herr Greten teilte dann das Werk in 2 Abteilungen auf, die dann seine beiden Söhne Gerd und Ernst Greten weiterführten. Als eine Abteilung läuft das Fagus-Werk weiter, die andere Abteilung heißt Grecon. Im GreConwerk werden Maschinen Für die Holz- und Möbelindustrie hergestellt.
Text: Wilhelm Krösche, Alfeld
Die Siedlung „Am Rodenkamp“ in den 1960er Jahren
So sahen nach Benscheidts Vorstellungen die Stuben und Küchen 1925 aus. |
1930er Jahre
C. Benscheidt interessierten Gesundheitsfragen…
„Bessere Schuhe durch bessere Leisten“ forderte er – und wurde Leistenfachmann
»Wir müssen in Alfeld bleiben“, entschied C. Benscheidt sen., als er im Jahre 1910 beschlossen hatte, eine neue Schuhleistenfabrik zu bauen, „denn nur hier haben wir einen Arbeiter-Stamm, der schon durch Generationen mit den Schuhleisten vertraut ist.“ Und dann errichtete er in Alfeld einen Industriebau, wie er moderner und fortschrittlicher nicht sein konnte. Es war die erste Fabrik, die Walter Gropius gebaut hat. Sie hat ihn berühmt gemacht. Das Werk erhielt zunächst den Namen Fagus-GmbH., später Fagus-Werk Karl Benscheidt, nach dem botanischen Namen f agus silvatica, der Rotbuche, weil diese den Hauptrohstoff für Schuhleisten liefert. Die Fagus-GmbH. war mit Beteiligung der amerikanischen United Shoe Machinery Corporation gegründet worden. 1917/18 erzwang die Konkurrenz die Ablösung der amerikanischen Beteiligung. Die Regierung übernahm zunächst die amerikanischen Anteile und überließ sie dann C. Benscheidt, der darauf mit seinem Sohn die Offene Handelsgesellschaft Fagus-Werk Karl Benscheidt gründete. Wer mit der Industrie vertraut ist, weiß, dass die Qualität derErzeugnisse eines Werkes nicht nur von Präzisionsmaschinen und Einrichtungen abhängig ist, sondern vor allem tüchtige Fachleute und gute Schulung des Nachwuchses verlangt. „Unser Reichtum“, pflegte C. Benscheidt zu sagen, „besteht nicht in unseren Gebäuden, Ein richtungen und Vorräten, er besteht in dem fachlichen Können unserer Mitarbeiter. Jeder Mann, der bei uns ausgebildet ist, repräsentiert für uns ein Kapital.“ So war man im Fagus-Werk immer darauf bedacht, durch saubere, luftige Arbeitsräume den Gesundheitszustand der Belegschaft zu heben, durch gewissenhaften Unfallschutz Betriebsunfälle zu vermeiden und den Betriebsangehörigen die Möglichkeit zu gesundem Wohnen und zur Pflege von Gartenkultur zu geben. Erfolg: die Unfallquote ist im Fagus-Werk durchschnittlich um 75-95 Prozent niedriger als beim Durchschnitt der Betriebe, die der Norddeutschen Holz-Berufsgenossenschaft angeschlossen sind; die Betriebskrankenkasse kann bei niedrigsten Sätzen die höchsten Leistungen gewähren; fast ein Drittel der verheirateten Angehörigen des Fagus-Werkes besitzen eigene Häuser. Eine Pensionskasse unterstützt alle Invaliden, soweit sie wenigstens 10 Jahre dem Fagus-Werk angehört haben, und auch ihre Witwen und schulpflichtigen Kinder.
Für diese besonders aufmerksame soziale Betreuung gibt das Leben C. Benscheidts eine Aufklärung. Er selbst war in seiner Jugend so krank und schwächlich, dass er vom Militärdienst als untauglich zurückgewiesen wurde. Gerade deshalb führte er ein asketisches Leben und interessierte sich für alle Gesundheitsfragen. Um sich die Kosten für das von ihm geplante MedizinStudium zu erarbeiten, schrieb er Artikel über Gesundheitspflege und kam dabei auch auf eine rationellere Fußbekleidung und auf eine Kritik der damals gebräuchlichen Leistenformen zu sprechen. Die Folge war, dass man nun Leisten von ihm verlangte, die richtiger waren als die von ihm kritisierten. So begann er, mit der Hand Leisten zu schnitzen, gab schließlich sein Studium auf und begann mit 50,— Mark Kapital ein Geschäft in Hannover. Bald erklärten die hannoverschen Schuhmacher, dass sie über seine Leisten nicht mehr länger arbeiten würden. Er war gezwungen, nun auch noch Schuhmachergesellen einzustellen. In Alfeld war inzwischen schon die Schuhleistenfabrik C. Behrens zu einer gewissen Bedeutung gelangt. Ihr Inhaber war ein weitsichtiger Geschäftsmann, der Carl Benscheidts Wert erkannte und dem es gelang, C. Benscheidt zu engagieren. Kurz vor seinem Tode legte er die Geschäftsführung in die Hände seiner Mitarbeiter Benscheidt und Bertram. 1910 entschloss sich C. Benscheidt, eine eigene Leistenfabrik zu errichten. Es war ihm vergönnt, dieses Werk 37 Jahre lang zu leiten, bis ihn im hohen Alter von fast 90 Jahren der Tod abberief. Ende 1911 kam sein Sohn, Karl Benscheidt jun., der bis dahin in Amerika Fachkenntnisse erworben hatte, nach Alfeld zurück, um mit dem Vater zusammen zu arbeiten. Das Verhältnis zwischen Vater und Sohn war das denkbar beste. Karl Benscheidt hatte sich ein eigenes Arbeitsgebiet abseits von dem seines Vaters gesucht. Seine Hauptsorge galt der ständigen Verbesserung der Erzeugnisse. Auf seine Anregung wurde die Fagus – Genauigkeits- – Schuhleistendrehbank gebaut, die einen gewaltigen Fortschritt bedeutete. Auch der wissenschaftlichen Seite der Fußbekleidung wandte sich Karl Benscheidt zu, suchte und fand Fühlung mit den maßgebenden Wissenschaftlern auf diesem Gebiete und gilt heute als Autorität.
Mit Karl Fritz Benscheidt, in dessen Hände das Werk dereinst übergehen soll, wächst nun die dritte Generation heran, die Generation, deren Weg von der Schulbank in den Krieg und in die Gefangenschaft führte. Noch aber steht an der Spitze des Unternehmens neben dem Inhaber Herbert Kiszka als Geschäftsführer, der mit großer Umsicht und unermüdlicher Schaffensfreude großes fachliches Wissen und Können verbindet. Als Lehrling hat er vor 38 Jahren beim Fagus-Werk angefangen. Das ist überhaupt bemerkenswert: Von allen leitenden kaufmännischen und technischen Angestellten herunter bis zum Vorarbeiter sind nur zwei nicht aus dem Fagus-Werk hervorgegangen. Das Werk beschäftigt heute über 500 Arbeitskräfte, fast ausschließlich Männer. 188 Männer und 2 Frauen tragen mit Stolz die goldene Nadel, die nach 25jähriger Werkszugehörigkeit verliehen wird.
Quelle: Köpfe und Kräfte im Land Niedersachsen 1952
Kopiermaschine bei Fagus 1951
1950er Jahre – Das Werk
1960er Jahre
1980er Jahre
Feuerwehrübung bei Fagus
Auslöser für die Gründung unserer Freiwilligen Feuerwehr war der verheerende Großbrand in der Nacht zum 07. Mai 1873, bei dem in der Paulistraße ein Ehepaar mit seiner fünf jährigen Tochter den Flammen zum Opfer fiel. Wenn es hier nicht windstill gewesen wäre, hätte das Feuer unvorstellbare Ausmaße annehmen können, fast wie zum großen Stadtbrand von 1846. Fünf Fachwerkhäuser konnten damals, trotz aller Bemühungen, nicht mehr gerettet werden.
Auf Basis der Freiwilligkeit wurde daraufhin am 24. Juni 1873 die Feuerwehr als Organisation mit 99 beigetretenen Männern gegründet.
Eine Feuerwehr ist nur so gut wie ihr Leistungsstand, so musste auch in vergangenen Zeiten immer wieder geübt werden, damit im Ernstfall alles „sitzt“. So zeigt die historische Aufnahme eine Feuerlöschübung auf dem Fagus-Gelände, dem heutigen Weltkulturerbe. Viele der abgebildeten Feuerwehrgerätschaften waren damals modern, so wie die Anhängerleitern, aus heutiger Sicht begehrte Sammlerobjekte.
Aber lassen Sie Ihren Blick einmal auf den Hintergrund des Bildes schweifen, dort zeigt sich die Hannoversche Straße in einer noch recht unbebauten Form, das Haus eines bekannten Alfelders befindet sich zum Zeitpunkt der Aufnahme noch im Bau, schräg gegenüber ein Haus, das es heute nicht mehr gibt. Auch die Anzahl der vorderen drei Häuser hat sich zu heute reduziert.
Und es gibt noch viel mehr zu entdecken.