Skulptur „Die Zeit und ihre Geister“ von Jürgen Goertz
Die Volksbank Alfeld eG, unter dem Dach der Stiftung Niedersächsischer Volks- und Raiffeisenbanken, stiftete der Stadt Alfeld (Leine) im Jahr 1995 im Rahmen der Feierlichkeiten „100 Jahre Volksbank Alfeld“ die Skulptur des Heidelberger Künstlers Jürgen Goertz.
Zu dieser Zeit hatte die Stadt das Märchen „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ wegen der Nähe zu den „Sieben Bergen“ touristisch in den Focus gesetzt. Wanderwege wurden z.B. mit Zwergentunnel bezeichnet oder die Gastronomie bot den Schneewittchenteller und den Zwergenschnaps an.
Später hat das Brüder Grimm-Museum-Kassel der Stadt Alfeld die Illusion genommen, dass das Märchen seine Handlung in unseren Sieben Berge hat. Wahrscheinlich ist das Märchen ursprünglich mit den Hugenotten aus Frankreich hierher gelangt. Schließlich wurde in der Stadt auf die weitere Vermarktung des Märchens verzichtet.
Wäre Jürgen Goertz ein Künstler des 19. Jahrhunderts gewesen, so hätten wir ein Denkmal bekommen, das Schneewittchen und die Zwerge realistisch abgebildet hätte. So aber haben wir eine Skulptur erhalten, die zu gegensätzlichen Einschätzungen anregt und das Thema Schneewittchen nur verschlüsselt beinhaltet. In Vertretung der sieben Zwerge stehen hier Gestalten, die jede auf ihre Art vom Wirken der Zeit, von Bedrohung, Zerstücklung und Entseelung, aber auch von Verführung und sinnlichem Genuss berichten:
Phallisches Männchen
Kopflose Gestalt aus Holzelementen
Dämonisches Wesen mit technischen Bestandteilen
Grotesker Gnom mit eingesunkenem Oberkörper
Großschnablige Figur, die eine Verwandtschaft zu Donald Duck zeigt
Menschlicher Profilkopf in einem geometrischen Umfeld
Kopf eines Urmenschen
Wenn Goertz seine Gestalten „Geister der Zeit“ und das ganze Ensemble „Die Zeit und ihre Geister“ nennt, so meint er damit sowohl Wesen, die etwas über Zeitgeist aussagen, als auch solche, die durch ihr Aussehen den Fortgang der Zeit bezeugen. Bei einigen Figuren ist die Bedeutung klar, bei anderen rätselvoller.
Schließlich bekrönt Schneewittchen als große Büste den Aufbau, verschmolzen mit einem Zwerg. Sie wird in einem Zustand des Schlafens und des Wachens gezeigt. Die Antennenschüssel steht als Ersatz für das „Spieglein an der Wand“. Auf der Rückseite spielen das Glückstier Schwein und das Herz auf ein Happy End der Geschichte an und die Zahnräder stehen hier für eine erfüllte Zeit gegen eine noch offene Zukunft. Der Zwerg schmiegt seinen Kopf an der jungen Frau; dass sich der Künstler selbst darin sieht, verrät der neben ihm abgestellte Bildhauerklöpfel.
Jürgen Goertz, geb. am 13.03.1939 in Czeluscin (Polen), wuchs nach dem Zweiten Weltkrieg in dem Dorf Küsten (Wendland) auf – später schuf er für die dortige Friedenskirche die Innenausstattung –, machte 1960 am Gymnasium Lüchow das Abitur[1] und studierte von 1963 bis 1966 an der Kunstakademie Karlsruhe Bildhauerei. Er schloss das Studium mit dem Examen für Kunsterziehung ab. Im Jahr 1970 heiratete er die Malerin Christa Heyn. In den Jahren 1971 und 1972 erhielt er einen Lehrauftrag an der Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe. Eine erste Ausstellung seiner Werke fand 1974 im Badischen Kunstverein Karlsruhe statt. 1974 wurde auch seine Tochter Eva-Julia geboren. 2004 wurde er mit dem Ehrentitel „Prof. h.c.“ als bedeutender Bildhauer ausgezeichnet. Die Ehrung wurde vom damaligen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg Erwin Teufel vorgenommen. Jürgen Goertz ist Mitglied im Deutschen Künstlerbund, er lebt und arbeitet in Eichtersheim südlich von Heidelberg. Sein Atelier befindet sich in der profanierten Schlosskirche Eichtersheim.
Ulrich Brinkmann, August 2020
Quellen:
Erläuterung der Skulptur „Die Zeit und ihre Geister“ des Künstlers Jürgen Goertz von Prof. Dr. Peter Anselm Riedl, Ordinarius für Neue und Neueste Kunstgeschichte an der Universität Heidelberg.
Wikipedia
Fotos: Ulrich Brinkmann