Zug der Gefangenen
An einem der letzten Märztage zog ein scheinbar endloser Zug von Männern durch Alfeld. Es waren Kriegsgefangene, die im Arbeitslager in Holzen am Ith gefangen gehalten worden waren und nun vor den anrückenden alliierten Truppen verlagert werden sollten. Sie hatten in den unterirdischen Fabrikationsanlagen im Ith, wo Flugzeugteile und Kurbelwellen für U-Boote hergestellt wurden und im Steinbruch arbeiten müssen. Über Delligsen und die Landstraße erreichten sie von Süden die Stadt.
„Wahrscheinlich einige Tage vor dem letzten Kriegstag für uns wurden, vom Bahnhof kommend, Richtung Innenstadt viele, viele Männer in abgerissener Kleidung – vielleicht auch verschlissene Uniformen – an unserem Haus vorbeigeführt. Ich sah keinen Anfang und kein Ende des Trecks. Die Männer sahen müde, traurig, ängstlich und leidend aus.
Ich stand auf der Kolkbrücke. Plötzlich wurden dort zwei oder drei Männer vor mir erschossen. Sie fielen die Böschung hinunter. Damals war da noch eine Böschung. Ich bin wohl weggelaufen, ich weiß es nicht mehr.“
Erinnerungen eines damals 12 Jahre alten Mädchens, die in der Adolf-Hitler-Straße (heute Bahnhofstraße, gegenüber der Post wohnte).
Der Zug wurde begleitet von Wachpersonal, das mit Karabinern, einer will auch gesehen haben, mit mehrschwänzigen Peitschen die erschöpften Männer antrieb. Sie wurden durch die Stadt getrieben, über den Marktplatz dann in Richtung Hildesheim, wo sie verladen werden sollten. Eine Augenzeugin berichtet, es seien Wagen mit langen Deichseln mitgeführt worden, auf die Zusammengebrochene gelegt wurden. Zuschauer wurden aufgefordert in die Häuser zu gehen.
In fast allen Erinnerungen taucht diese Episode auf, ein Zeichen dafür, dass hier die Wirklichkeit der Behandlung von Kriegsgefangenen, das Unmenschliche des Wachpersonals, die Nähe von Krieg und Tod für viele zum ersten Mal greifbar wird.