1981 – Alfeld und die mageren Jahre
Versuch einer Standortbestimmung an der Jahreswende zu 1982
Am 1. Januar ist nicht alles neu, und am 31. Dezember ist nicht alles abgetan, was uns in den für die meisten allzu rasch verflossenen zwölf Monaten bewegt hat. Dieser Gedanke sei dem Versuch vorausgeschickt, an der Jahreswende die Frage zu beantworten, wie die Lage im engeren Bereich unserer Heimat zu beantworten ist. Hinter uns liegt ein mageres Jahr, und vor uns werden weitere magere Jahre liegen.
Diese Feststellung weist lediglich zugleich daraufhin, dass eine Betrachtung unseres heimatlichen Raumes ohne Berücksichtigung der politischen und finanziellen Großwetterlage schon seit langem nicht mehr möglich ist. Doch gerade in der mitunter beklemmenden gegenwärtigen Situation wird und muss sich zeigen, was Energie, Tatkraft und Beharrlichkeit auf der unteren Ebene vermögen.
Das Jahr 1981 war ein Wahljahr. In die kommunalen Parlamente wurden die Männer und Frauen berufen, in deren Händen für fünf Jahre das Geschick unserer Städte und Gemeinden sowie unseres Landkreises liegt. Das Jahr 1982 wird wieder ein Wahljahr sein, bei dem es gilt, die rechten Vertreter unserer Heimat in das Landesparlament zu schicken. Auf höherer Ebene hat sich bereits gezeigt, dass der Bürger nicht gewillt ist, nach dem Gang zur Wahlurne den weiteren Gang der Handlung allein seinen gewählten Vertretern zu überlassen. Bürgerinitiativen auf den verschiedensten Gebieten – so meinen wir – deuten auf Schwächen der repräsentativen Demokratie hin. Sie beweisen, dass der Wähler von seiner Müdigkeit, die man ihm so oft versichert hat, auch Gebrauch machen will. Solche Entwicklungen schließen aber auch die Gefahr ein, dass ein politischer Teilaspekt überbewertet und schließlich das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird.
Die Kommunalwahlen – inzwischen von vielen dazu Berufenen eifrig analysiert, zeigen auf der einen Seite den Einfluss des allgemeinen politischen Klimas auch auf die Gemeinden, auf der anderen Seite jedoch das Beharrungsvermögen der etablierten Kräfte. Wo neue Leute und Richtungen erstmals in den Parlamenten Fuß fassten, signalisiert das häufig den Willen der Jugend, eingefahrene Gleise zu verlassen. Sie wird noch lernen, dass man dies innerhalb und außerhalb der Parteien tun kann. Sie wird die „alten Hasen“ lehren, dass Parteiprogramme immer wieder der Überprüfung an der Wirklichkeit bedürfen. Es gab in unserem Raum keinen Erdrutsch, aber doch Anzeichen dafür, dass Veränderungen möglich sind. Die Reaktion darauf war typisch: Die einen versuchten, soviel wie möglich von der liebgewordenen und oft auch sauer verdienten Macht zu behalten, die anderen, mit ihrer neugewonnenen Stärke so viel Positionen wie möglich einzuheimsen. Es musste schon zu einer Pattsituation wie in der Samtgemeinde Sibbesse kommen, wenn man sich von vornherein zu einer Teilung der Macht und damit zu mehr Gemeinsamkeit entschloss.
In der praktischen Arbeit zeigt es sich dann immer wieder, dass Kommunalpolitik weniger von edlen Absichten als von nüchternen Sachzwängen geprägt wird. Aber es darf kein Diktat der leeren Kassen geben. Als richtig und notwendig erkannte Maßnahmen müssen zäh und beharrlich Schritt um Schritt weiter vorangetrieben werden. Dafür gibt es in Alfeld einige gute Ansätze. Im Straßenbau wurde die Süd-Ost- Tangente bis zur Burgfreiheit weitergeführt.
Die damit neu geschaffene Verkehrslage macht jedermann deutlich, dass es eine generelle Bereinigung der Verkehrsprobleme ohne die Nordtangente nicht gibt. Nur sie eröffnet die Chance, die Alfelder Innenstadt zur Fußgängerzone oder zumindest zum verkehrsberuhigten Raum zu machen und damit erst die Qualität Alfelds als Einkaufsstadt ins rechte Licht zu rücken.
Die langwierige Instandsetzung der Bismarckstraße beweist, dass man sich auf dem Gebiet des innerstädtischen Straßenbaus nicht auf den Lorbeeren vergangener Jahre ausruhen kann und immer wieder auf Gehsteigen und Fahrbahnen kostspielige Erneuerungen notwendig sind. Die Erschließung neuer Baugebiete Muss überall wegen der hohen Kosten sehr behutsam angefasst werden, so sehr man sich auch eine Belebung der Bautätigkeit als belebendes Element für die heimische Wirtschaft wünschte. Im Interesse größerer Wohnlichkeit verdient das Experiment verkehrsberuhigter Zonen an den Stadträndern durchaus Aufmerksamkeit.
Von den noch nicht abgeschlossenen Schulbauten hat das neue Berufsschulzentrum in AIfeld den größten Meinungswirbel ausgelöst. Es wurde noch in einer Zeit konzipiert. als man an stetiges Wachstum und die Notwendigkeit schulischer Reformen stärker glaubte als heute. Fraglos verdient das Berufsschulwesen als lange vernachlässigte dritte Säule unseres Bildungswesens jede Förderung, ohne Zweifel besteht hier ein starker Nachholbedarf. Ob hier aber mit sinnvoller Großzügigkeit geplant oder des Guten zu viel getan wurde, wird sich wohl erst nach der Fertigstellung des Gesamtprojekts mit Sicherheit sagen lassen.
Der Bau der Orientierungsstufenschule hat das Gymnasium Alfeld wohl kaum so entscheidend entlastet, wie man ursprünglich geglaubt hat. Das Nachrücken geburtenschwacher Jahrgänge dürfte jedoch künftig für die Entlastung sorgen, die man um seiner Bildungsziele willen dem wohl größten Gymnasium Niedersachsens wünschen möchte. Sinnvoll erschiene es auch, nach der weitgehenden Konsolidierung der Realschule die Hauptschule wieder zu dem zu machen, was ihr Name sagt, und nicht zu einem Sammelbecken der von anderen weiterführenden Schulen verschmähten Reste. Es sei dahingestellt, ob es bei der Reform unseres gesamten Schulwesens an Behutsamkeit gefehlt hat, oder ob man dem Prinzip der „besseren“ Bildung mit zu großem Eifer nachgejagt ist: Es scheint an der Zeit, sich wieder der Einsicht zu öffnen, dass die intellektuellen Fähigkeiten nicht den ganzen Menschen ausmachen.
Fast unmerklich hat sich auch im Alfelder Kulturleben eine gewisse Umschichtung des Publikums vollzogen. Dem trägt offensichtlich ein breitgefächerter und vielseitiger Spielplan Rechnung. Sehr zu wünschen wäre, wenn sich die guten Ansätze zu einer Neubelebung des Musiklebens noch verstärkten und Alfeld den alten Ruf auf diesem Gebiet vollends zurückgewänne. Die breite Resonanz, die nach wie vor auch bei uns das Stadttheater Hildesheim findet, ist als Gegenpol zu den Tourneetheatern und besonders im Hinblick auf das Musiktheater durchaus zu begrüßen.
Leistungs- und Breitensport nehmen in Alfeld seit langem einen beachtlichen Platz ein. Hier liegt die Gefahr nahe, dass der weitere Ausbau der Sportstätten dem Rotstift zum Opfer fällt. Gerade auf diesem Gebiet aber möchte man den Politikern weise Entscheidungen wünschen, die eine optimale Nutzung des Bestehenden garantieren und eine allmähliche Verbesserung besonders außerhalb der Kernstadt nicht blockieren.
Weniger denn je wird der Bürger – und dieser Name ist für uns immer noch ein Ehrentitel und kein Schimpfwort – alles von der öffentlichen Hand erwarten können. Er wird häufiger als früher auch in die eigene Brieftasche greifen müssen, um guten Projekten voranzuhelfen. Dabei wird keineswegs verkannt, dass von den verschiedensten Seiten versucht wird, an den Inhalt seines Portemonnaies heranzukommen.
Bei dem allgemeinen Sparzwang wird sich zudem mancher auf seine Pflichten als redlicher Hausvater stärker besinnen als bisher. Doch zum Bürger gehört von jeher auch der Bürgerstolz auf seine Stadt oder seine Gemeinde, und den hat man sich immer auch etwas kosten lassen. Bedenkt man, welch riesige Kirchen und prachtvolle Rathäuser kleine Städte in vergangenen Jahrhunderten mit primitiven technischen Mitteln errichtet haben, so kann man noch nachträglich den Hut ziehen vor so viel Bürgersinn und Opferbereitschaft. Darum ist es unser größter Wunsch für 1982, dass diese Tugenden erhalten bleiben und das kommunale Leben weiterhin befruchten.