Der Alfelder Altar in der Minoritenkirche zu Köln
Die Darstellungen
Bei dem Altar handelt es sich um einen spätgotischen Marienaltar, der um 1483 in der Werkstatt des Braunschweiger Meisters Cord Borgentrik entstanden ist.
Er ist einer von sieben spätgotischen Altären, die St. Nicolai besaß und durch ihre Stiftungen bekannt sind.
Der dreiflügelige Altar, auch Triptychon genannt, hat je vier Altarbilder. Zusätzlich ist im Mittelpaneel Maria im Strahlenkranz als Skulptur dargestellt. Ursprünglich waren an den Außenseiten jeweils ein weiterer Flügel angebracht. Diese sind jedoch nicht mehr vorhanden.
Die oberen geschnitzten plastischen Bildplatten zeigen Szenen aus dem Leben Jesu, bezogen auf Weihnachten und Ostern. In der unteren Reihe sind zusätzlich Episoden aus den heiligen Katharina und dem St. Nikolaus, dem Namenspatron unserer St. Nicolai-Kirche, abgebildet.
Die Außenseiten der Altarflügel enthalten nur noch Fragmente gemalter Szenen aus dem
Leben Marias und des hl. St. Nikolaus.
Ein besonderer Bezug des Altars zu unserer Nicolaikirche ist dadurch gegeben, dass sich der Heilige St. Nikolaus als Namenspatron in den Darstellungen des Altars mehrfach wiederfindet. Die Legende, in der Nikolaus drei Goldklumpen durch das Fenster der drei Töchter des armen Mannes wirft, um ihnen so eine Mitgift zu ermöglichen, wird an dem Taufstein unserer Kirche aufgegriffen: Die drei Deckelgriffe aus Bergkristall des Taufbeckens von 1958, sollen die Goldklumpen symbolisieren. Außerdem ist an dem Taufstein der hl. St. Nikolaus dargestellt.
Der Verkauf
Nun muss man sich die Frage stellen, warum dieser herrliche Altar damals verkauft wurde. Erklärungen sind in der Mode der Zeit und in der damaligen finanziellen Situation der Kirchengemeinde St. Nicolai zu finden.
1738, im Zeitalter des Barock, als gotische Kunst gering geachtet wurde, ersetzte man diesen Altar im Stil der neuen Zeit durch einen Barockaltar. Der mittlere Teil des alten Altars hängte man an die Südwand von St. Nicolai, die beiden Flügel an die Nordwand. 1888, dem Zeitgeist folgend, wurde die Innenausstattung der Kirche neu gestaltet. Auch der Barockaltar wurde wieder abgebaut. Erhaltene Skulpturen des Barockaltars sind heute an den Wänden der Nordostecke in der Nicolaikirche zu sehen.
Um die Renovierung zu finanzieren, wurde der nun inzwischen 150 Jahre ungenutzte, restaurationsbedürftige Flügelaltar zum Kauf angeboten.
Das brachte den Stadtpfarrer von Frankfurt am Main, Ernst Franz August Münzenberger (geb.1833, gest.1890) auf den Plan. Seit seiner Priesterweihe hatte Münzenberger seine Kontakte genutzt, um historische Altäre und andere religiöse Kunstwerke zu erwerben, restaurieren zu lassen und sie wieder in den liturgischen Dienst zu stellen.
Münzenberger beauftragte den Frankfurter Antiquitätenhändler Sebastian Knapp, der sich gerade in Hannover und Hildesheim aufhielt, mit den Verkaufsverhandlungen. Zwei holländische Händler hatten gerade ein Gebot von 3200 Mark abgegeben.
In dem Brief vom 08.06.1888 von Knapp an Münzenberger schreibt er, dass er nach nutzloser Erstverhandlung nun ein Angebot von 3500 Mark gemacht habe. Der Kirchenvorstand werde Montagfrüh nochmal zusammentreten, um darüber zu entscheiden. Weiter schreibt er: „Sollte der Kauf zu Stande kommen, so bin ich der festen Überzeugung, dass dieses Stück gerechtes Auffallen erzeugen wird…“ und „Sobald ich Nachricht habe, werde ich ungesäumt Mitteilung machen, auch würde ich es für gut befinden, wenn Euer Hochwürden meinen Auftrag bei Hr. Superintendenten Vahlbruch, Alfeld, bestätigen wollten.“
Offensichtlich hatte es der Kirchenvorstand nun eilig, zu einer Entscheidung zu kommen, wobei ihm das Angebot von 3500 Mark wohl zu gering war. Bereits am darauffolgenden Sonntag, den 10. Juni 1888 sendete Knapp folgendes Telegramm an Münzenberger:
„Soeben Sitzungsbeschluss 4000 Mark, soll sonst ausgeschrieben werden, Draht Antwort, Knapp bei Senator Rinne, Alfeld“
Noch am selben Tag wurde der Kauf bestätigt und das Geld am folgenden Tag mit der Post in bar unter Angabe des Gewichts von 60½ Gramm an Superintendent Vahlbruch geschickt.
Der Altar wurde umgehend nach Frankfurt gebracht, um ihn im Atelier des Herrn Weis unter großem Aufwand zu restaurieren. Es wurde u.a. eine Kammbekrönung hergestellt, verwitterte Figuren ergänzt, sowie die Vergoldung und Polychromierung (Vielfarbigkeit) in blau und rot wieder hergestellt.
Der Weihbischof Dr. Baudri stiftete schließlich den Hochaltar der Minoritenkirche in Köln, wo er Pfingsten 1889 aufgestellt wurde.
In der Postkarte von Weis an Münzenberger schreibt dieser, dass der Alfelder Altar am Platze seiner Bestimmung stehe und dass ihm allseitig Freude über die Großartigkeit dieses Altars bekundet werde. Auch sei man ihm gegenüber nicht sparsam mit Komplimenten gewesen.
Nach dem Verkauf des Altars hatte das Kultusministerium Einwände gegen den Kaufvertrag erhoben. Offensichtlich hatte die Bedeutung dieses besonderen Kunstwerkes eine überregionale Tragweite, über die der Kirchenvorstand von St. Nicolai nicht allein entscheiden durfte. Der Alfelder Superintendent Vahlbruch versuchte in mehreren Briefen von November 1888 bis August 1889 von der Minoritenkirche eine Bescheinigung über die Aufstellung des Altaraufsatzes zu bekommen. Auch von „Rückgewinnung“ war die Rede. Zur Zeit der Restaurierung des Altars in Frankfurt stand offensichtlich eine endgültige Aufstellung in der Minoritenkirche noch nicht fest.
Schließlich hat der Kultusminister in Berlin nach Erhalt der Bestätigung seine Genehmigung zu dem Verkauf erteilt, da der Altar wieder dem kirchlichen Gebrauch zurückgeführt worden war, zudem in einer der „hervorragenden Kirchen Kölns“.
Im Nachhinein wird der Verkauf des Altars „in Unkenntnis seines Sachwertes“ beschrieben. Letztlich hat aber der Kirchenvorstand von St. Nicolai mehrere geringere Angebote abgelehnt und seine Forderung durchgesetzt. In Anbetracht des ursprünglichen Zustands des Altars und der benötigten Mittel für die Innensanierung von St. Nicolai ist das vielleicht nachvollziehbar. Die Kosten beliefen sich damals auf 35647 Mark, dreimal so hoch wie ursprünglich geplant. Der Erlösbetrag von 4000 Mark für den Altar entsprechen heute ca. 29000 Euro.
Die Minoritenkirche
Die Minoritenkirche wurde im 13. Jahrhundert erbaut. Sie geht auf den von Franziskus von Assisi 1209 zu einem Orden vereinten frates minores (Minderbrüder) zurück. Diese wandten sich gegen die Auflösung christlicher Lebensführung. 1221 trafen die ersten Minoriten in Köln ein, das damals mit ca. 40000 Einwohnern die volkreichste Stadt Deutschland war und deshalb ein lohnendes Arbeitsfeld für die Minderbrüder darstellte. Als Kirche eines Bettelordens besitzt die Minoritenkirche keinen Kirchturm, sondern nur einen Dachreiter.
Die Kirche hat eine herausragende Bedeutung für das internationale Kolpingwerk, das von Adolph Kolping (1813-1865) gegründet wurde. Es gilt als eines der großen Sozialwerke der katholischen Kirche.
In der Mitte des 19. Jahrhunderts kam es zur Säkularisation (staatliche Einziehung oder Nutzung kirchlicher Besitztümer) und zum Umbruch vom Zunft– zum Industriezeitalter. In dieser Zeit fehlte es an Geistlichen, die sich auf die neue Situation einstellen konnten.
Adolph Kolping befasste sich mit den Nöten der Handwerksmeister, Gesellen und Tagelöhner. Er selbst war vor seiner Priesterweihe Schuhmachergeselle.
1845 empfing Kolping in der Minoritenkirche seine Priesterweihe. Ein Jahr später arbeitete er an den Satzungen des durch Handwerksgesellen gegründeten „Katholischen Gesellenvereins“ mit und wurde bereits 1847 Präses des Vereins.
Er erkannte die Wirksamkeit in der Gründung mehrerer Gesellenvereine und gründete am 06.05.1849 den Kölner Gesellenverein. Am selben Tag verkündete Karl Marx im Kölner Gürzenich sein Kommunistisches Manifest.
Weitere Gesellenvereine im In– und Ausland führten die Idee Kolpings fort. Die Gesellenhäuser sollten nicht nur wohnliche Herberge, sondern auch Schule sein, die es den jungen Handwerkern ermöglichte, sich religiös, politisch und fachlich zu bilden. Außerdem sollten sie Gelegenheit zur Geselligkeit geben.
Seit 1862 war Kolping Rektor der Minoritenkirche. Seinem Wunsch entsprechend fand er nach seinem Tod 1865 und vorübergehender Beisetzung auf dem Melantenfriedhof in der Minoritenkirche seine letzte Ruhestätte.
Der heutige Sozialverband Kolpingwerk Deutschland hat bundesweit mehr als 215.000 Mitglieder in 2.286 Kolpingsfamilien, davon etwa 37.000 Kinder.
Der Künstler
Cord Borgentrik wurde um 1430 in Borgentreich, einem Ort südlich von Höxter, geboren. 1457 übersiedelte er nach Braunschweig, um die Holzschnitzerei zu erlernen. Im selben Jahr heiratete er Ilsebe, die 15 Jahre ältere Witwe des Malers und Bildschnitzers Kort von Hagen. Er hatte damit in einen künstlerischen Haushalt geheiratet, der seiner Ausbildung sehr entgegen kam. Als Neubürger in Braunschweig brauchte er kein Meisterstück anfertigen, weil sein Beruf als „freie Kunst“ galt. Mit der Heirat bekam er Haus und Werkstatt und war dadurch zu Vermögen gekommen.
Bereits 1472 ließ sich seine Frau wieder von ihm scheiden. Dabei musste Borgentrik für sich und den Kindern seiner Frau den „Schoßeid“ leisten, die eidliche Erklärung über sein Vermögen. Damit war die Verpflichtung zur Besteuerung verbunden. Er musste seiner Frau Unterhalt bezahlen und ihr die Hälfte des Hausrats überlassen. Das setzte ihm so zu, dass er sieben Jahre vor seinem Tod verarmt Haus und Werkstatt verlor, obwohl er bis zu seinem Tod 1501 sehr produktiv, allerdings auch nur mit einfachen Tischlerarbeiten befasst war.
Borgentriks Hauptarbeitsfeld war die Fertigung von Flügelaltären. Zu der Zeit konnten die meisten Menschen weder schreiben noch lesen, und so holten sie sich ihr religiöses Wissen aus den Reliefszenen der Altarschreine. Borgentriks Darstellungen der Männer sind gekennzeichnet von großen Gesichtern mit Bärten und betonten Jochbeinen, sowie langovale Gesichter mit langen, geraden Nasen bei den Frauen.
In seinen Werken hat sich Borgentrik auch mit Selbstbildnissen dargestellt. So ist er in dem „Alfelder Altar“ mit seiner roten Handwerkermütze neben der hl. Katharina zu sehen. In einer anderen Szene ist er einer der drei zu Unrecht zum Tod Verurteilten, der dem hl. Nikolaus die Hand reicht.
Eine seiner bedeutendsten Arbeiten ist der „Hemmerder Altar“ von 1483. Als die Kirchengemeinde Hemmerde (bei Unna NRW) sich beim Umbau ihrer Kirche 1871 finanziell nicht in der Lage sah, den durch Wurmfraß aus Lindenholz geschnitzten Altar zu restaurieren, wurde er verkauft und gelangte schließlich durch eine Stiftung in das damalige „Vaterländische Museum“ in Braunschweig (heute Städtisches Museum). Wie bei unserem „Alfelder Altar“ hat auch der „Hemmerder Altar“ eine ähnliche Geschichte erfahren.
Wer sich ein Werk des Meisters in unmittelbarer Nähe anschauen möchte, der kann das in der zu Eimsen tun. Der Altar dort enthält Teile des ehemaligen Altarschreins aus der alten Kirche.
Die wechselvolle Geschichte des Alfelder Altars sollte noch nicht zu Ende sein:
Es ist nicht sicher, ob der Altar vor der Bombardierung Kölns 1942 rechtzeitig ausgelagert werden konnte. Jedenfalls sind erst 1964 bei der Beseitigung von Brandschäden die Reste der ursprünglichen Malerei an den Flügelrückseiten des Altars bei den Restaurierungsarbeiten in ihrer alten Farbigkeit größtenteils freigelegt worden.
Die Malereifragmente wurden gesichert und die Fehlstellen neutral in grau eingefärbt.
Im März 2002 wurde das „Alfelder Retabel“ (Altaraufsatz) Opfer eines Anschlags, bei dem zwei mit Schrauben befestigte Bildplatten von einem unbekannten Täter, eventuell mit Hilfe eines sogenannten Kuhfußes, aus dem Altar herausgebrochen wurden. Wahrscheinlich handelte es sich um den selben Vandalen, der einige Wochen zuvor einen Backstein auf die Schmuckmadonna des Kölner Doms geworfen hatte.
Alle Teile des Altars wurden sorgfältig eingesammelt, wodurch die alte Pracht durch den Restaurator am Kölner Generalvikariat wieder hergestellt werden konnte.
Anlässlich der EXPO 2000 erteilte Superintendent Wolfhard Pohlmann einem Kölner Fotografen den Auftrag zu einer Altarfotografie. Leider ist es zu einer dreiflügeligen Gestaltung, wie von Herrn Pohlmann in dem Artikel angedacht, nicht gekommen.
Wenn auch dieser schöne Altar für Alfeld verloren ist, so lebt seine Ausstrahlung in der Minoritenkirche zu Köln doch weiter und das nicht unter dem Namen seines Erschaffers, wie man annehmen könnte, sondern unter dem Namen „Alfelder Altar“.
In der 1857 eingeweihten Pancratiuskirche in Eimsen ist eine weitere Arbeit von Cord Borgentrik zu finden. Der Altar besteht aus einem Flügel des ehemaligen Altarschreins aus der vorherigen baufälligen Kirche. Dargestellt wird die hl. Familie in Form eines „Sippenbildes“. In der Mitte Maria mit dem Christuskind auf dem Schoß, links von ihr die hl. Anna in einem Buch lesend, rechts die hl. Elisabeth mit Johannes auf dem Schoß.
Unten sind zwei Frauen mit Kindern abgebildet und hinter einer Stange mit einem Teppich sind acht Männer zu sehen.
An der Kanzel befinden sich sechs Apostelfiguren, die offenbar dem ursprünglichen Flügelaltar entnommen wurden.
Ulrich Brinkmann
ev.-luth. Friedenskirchengemeinde Alfeld (Leine)
Quellenangaben:
Literatur: Archiv St. Nicolai Alfeld; Chronik der Kirchengemeinde Alfeld; Zeitschrift für christliche Kunst Nr. 6/1889, Nr.7/1890, Nr.5/1892; Rheinische Kunststätten Heft 8/1965; H.-G.Gmelin: Spätgotische Tafelmalerei in Niedersachsen; C. Wille: Cord Borgentrik Maler und Bildschnitzer aus Borgentreich; P. Clemen: Die Kunstdenkmäler der Stadt Köln 1929; H. Festing: Die Minoritenkirche zu Köln; P. Graff: Geschichte des Kreises Alfeld 1928; Alfelder Zeitung; Wikipedia.
Bilder: Archiv St. Nicolai Alfeld; Inge Kaune 1999, Rheinische Kunststätten, Heft 8/1965, LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland, Martha Kranz; Wikipedia; Kölner EXPRESS v. 20.03.2002; Alfelder Zeitung v. 30.01.2002; Ulrich Brinkmann 2021/22