Die Flussbadeanstalt in Alfeld
Zunächst durften nur die Männer baden – „Billiger Abend“ für die Arbeiter
Bild oben: In der alte Flussbadeanstalt im Jahre 1910 – im sog. „Schweinekasten“
Die erste Anregung zur Anlage einer (Fluss)Badeanstalt findet sich im Jahr 1868.
Ein privates Unternehmen besonderer Art war der Bade- und Schwimmanstaltsverein, der jahrelang die Alfelder Flussbadeanstalt betrieb. Er wurde am 22. Mai 1892 gegründet. 30 Anwesende zeichneten bereits bei der ersten Versammlung 105 Anteilscheine zu zehn Mark, wobei ein Betrag von insgesamt 3000 Mark angestrebt wurde. Als Anlageplatz pachtete das gemeinnützige Unternehmen das Wiesenteil Nr. 8 an der Vormasch von der Realgemeinde, also den Bereich um den heutigen Umgehungsstraßendamm an der Flussbiegung östlich der Bahnstrecke. Im Laufe des ersten Betriebsjahres wurde von 167 Einwohnern Alfelds die Summe von 3150 Mark aufgebracht, von denen man dann 2737 Mark für den Bau und die Einrichtung der Badeanstalt ausgab.
Bild oben: „Badenixen – etwa um 1910
Während zunächst nur Herren baden durften, wurden später auch die Damen zugelassen. Als Bademeister fungierte von Anfang an das Ehepaar Wienecke und später deren Sohn. Im Laufe der Zeit vergrößerten sich der Betrieb und die von Apotheker Foerster geleitete Verwaltung, was bald zu der Forderung nach einer Erweiterung führte. Betrug die Abonnentenzahl bis zum Jahre 1902 durchschnittlich 150, stieg sie 1903 auf 202, bei einem Einzelkartenverkauf von 1327 Stück. Die sich fortsetzende Zunahme brachte Engpässe besonders bei den „Ankleidezellen“. Eine andere Schwierigkeit entstand durch die ungeschickt angelegte große Planke, da der Bademeister von ihr das Terrain nicht völlig übersehen konnte und die Möglichkeit bestand, dass er einen Unglücksfall nicht sofort bemerkte.
Ferner hatte sich die Bedienung in Zeiten der Hochsaison als unzureichend erwiesen, die Badezeiten für besondere Personengruppen wie Frauen, Schüler und Schülerinnen als zu kurz herausgestellt und es erhob sich der Wunsch nach einem zweiten „billigen“ Abend für die Arbeiter.
Ein solcher war 1905 an den Sonnabenden eingerichtet worden. Er wurde überaus gut angenommen, denn in heißen Sommern genügten die in einzelnen Fabriken eingerichteten Brausebäder nicht mehr dem Erfrischungsbedürfnis. Auch wollte man verstärkt das Schülerbaden fördern, wofür sich besonders Direktor Herberholz einsetzte.
Ungünstige Witterungsverhältnisse brachten natürlich erhebliche Einbußen bei den Einzelbesuchern und den Abonnenten. So ging 1907 die Zahl der letzteren von 236 im Vorjahr auf 143 zurück. Die Folge war einerseits ein Kassenminus von 200 Mark und dass die Einrichtungen der Anstalt den an sie gestellten Anforderungen ausnahmsweise einmal genügten. Man baute noch im selben Jahr die Bademeisterplanke um und ließ eine besondere Trockenhalle entstehen.
Was als dringend erforderlich Geld weiterhin die Vergrößerung des Flusses und der gesamten Anstalt die durch Begradigung des Ufers und näheres Heranrücken an dasselbe leicht und ohne größere Geldmittel zu bewerkstelligen sein würde. Eine andere Möglichkeit sah man in der Wiedererrichtung der Badeanstalt am weiter oben, d. h. in Richtung Föhrste, gelegenen Lauf der Leine, wo eine solche schon im Jahre 1875 bestand.
Bild oben: Vor dem Sprung ins kühle Nass der Leine, etwa 1921
Die Stadt beteiligte sich mit 200 Mark an der Badeanstalt, sah aber ebenfalls ein, dass sie nicht mehr den Ansprüchen genügte. So diskutierten die Kollegien im Februar 1908 unter anderem die Schaffung eines gesonderten Bassins als Freibademöglichkeit gegenüber der bestehenden Anlage, was aber wegen der zu befürchtenden Verschlammung Schwierigkeiten bringen konnte.
Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Fluss über sich öfter verlegene „Sandbänke“ verfügte. Diese natürlichen Inselbildungen wurden beispielsweise gerne als Markierungspunkte für das Freischwimmen genutzt. Ferner gab es eine geschlossene Badezelle, in der vornehmlich Alfelder Industrielle „unter Ausschluss der Öffentlichkeit“ baden könnten. Den Schleier eventueller Geheimnisse verstand die Jugend allerdings durch die Schaffung von Gucklöchern in den Brettern zumindest teilweise zu lüften.
Da die Badeanstalt vorwiegend von Schülern, Präparanden und Seminaristen benutzt wurde, sprach sich das Ortsparlament für eine Vergrößerung der bestehenden und Schaffung einer billigen Badegelegenheit für die Arbeiter und Übernahme der daraus entstehenden Kosten wie die Vermehrung der Bademöglichkeiten für die Damen aus.
Verheerend wirkte sich das Hochwasser im Frühjahr 1909 mit der Zerstörung der Anstalt aus. Der Vorsitzende, Senator Müller, setzte für die Wiederherstellung einen notwendigen Betrag von mindestens 1500 Mark an. Der Bade- und Schwimmanstaltsverein sprach sich gegen eine vereinzelte pessimistische Meinung, die eine Übergabe an die Stadt befürwortete und für die Weiterführung des Unternehmens aus.
Ende Mai waren die Einrichtungen erheblich solider als vorher neu entstanden und bezeugten so die Opfertüchtigkeit der Alfelder Bevölkerung. Sie brachte bis dahin 1600 Mark freiwillig auf, nötig waren 2400. Im Jahr darauf beschloss die Stadt die Schulden des Vereins zu decken. 1911 wurde die Bade- und Schwimmanstalt am
16. Mai um 14 Uhr für Herren und am 18. Mai um 8 Uhr für Damen geöffnet. Der Verein ging nun an die Einrichtung eines sogenannten Sonnenbades, für das die Aufstellung von Holzpritschen, Carbolineumanstrich und Drahteinfriedigung vorgesehen war. Es sollte in Verlängerung der Badehalle auf dem von Herrn Hartje gepachteten Realgemeindegrundstück eingerichtet werden. Ferner erschien die Abdeckung der Badeanstalt zur Happeschen Villa hin notwendig.
Direktor Herberholz setzte sich für ein Schülerjahresabonnement von 3 Mark ein, also für Angehörige des Realprogymnasiums, der kaufmännischen und gewerblichen Fortbildungsschule, Bürgerschule usw. Er begründete dies mit der Bevorzugung der oft von auswärts stammenden Präparanden und Seminaristen und der bisherigen Benachteiligung der einheimischen Jugendlichen. Dann erwog man auch die Anlage einer Dusche.
Bild oben: Ansicht der Leine und der spätere Lage der Flussbadeanstalt
Extrem warme Temperaturen brachte der Sommer 1911. Ende Juli stieg das Wasser bis zu der seit über 20 Jahren nicht gemessenen Wärme von 23 Grad. Es wurde deshalb auch schon vor Beginn der Arbeitszeit viel gebadet. Dazu war das Wasser außergewöhnlich rein und klar, so dass man bis zu 2 m tief in den Fluss hineinsehen konnte. Dies war die Folge vom Fehlen zuströmenden Regenwassers aus dem oberen Einzugsgebiet und der zersetzenden Wirkung der Sonnenstrahlen auf die Beimengungen. Das Floß der Badeanstalt hatte weiterhin seine normale Höhe und der Fluss immerhin noch eine Tiefe von fast vier Metern, während in den Jahren 1901 und 1902 der Wasserstand so gesunken war, dass das Floß nahezu auf dem Boden des Leinebettes ruhte.
Als bemerkenswerter Vorzug wurde wegen des Näherungswertes an das Meer der Gehalt des Wassers an Chlormagnesium und Kochsalz aus den Kalifabriken Hohenzollern und Vogelbeck angesehen. Die mineralischen Zugaben hielt man nicht für gesundheitsschädlich und zwar ganz im Gegensatz zu den Abwässern der Papier-, Zellulose- und Zuckerfabriken. Die Kalisalze fällten viele Ballaststoffe des Wassers aus und sorgten für deren Absetzung an den Ufern. Eine gewisse Auswirkung auf die Pflanzen und Tiere wird es ebenfalls gegeben haben.
Bild oben: Die Flussbadeanstalt an der Leine in den 1930er Jahren
Die Schwimmer wussten um die naturbedingten Gefährlichkeiten, die der alte Spruch „De Leine frett alle Jahr teine“ (Die Leine frisst bzw. fordert im Jahr zehn Leben) andeutet. Er bezog sich nicht nur auf das immer wieder die Badenden passierende krepierte Vieh, sondern auch auf die zu schnell und ohne ausreichende Abkühlung ins Wasser gehenden bzw. von Strudeln erfassten Menschen. Beim Schwimmenlernen wurden deshalb vorsichtigerweise sogenannte Longen benutzt, also mit Schlaufen versehene Stäbe.
Bild oben: Lange war das Baden „oben ohne“ Männersache
Erstaunlich ist aus heutiger Sicht das langjährige Fehlen eines Schwimmklubs in Alfeld. Um für eine entsprechende Gründung zu werben, veranstaltete am Sonntag, dem 27. August 1911 der Hannoversche Schwimmverein Neptun von 1895 ein Schwimmfest mit reichhaltigem Programm. Neben den städtischen Honoratioren hatten sich auch eine Anzahl Lehrer und viele Zuschauer eingefunden. Nach einer Ansprache des Vereinsvorsitzenden, Lehrer Gedrat, folgten verschiedene Sprünge, Tauchen, Stafettenschwimmen, Rettungsvorführungen, Wasserpantomimen, Wasserballspiele und ein Lampionreigen. Der darauf entstandene Alfelder Klub Poseidon trat 1921 oder 1922 korporativ dem Bade- und Schwimmverein bei.
Im Jahr darauf gab es Stunden, in denen Schüler unentgeltlich baden konnten, wobei die Stadt die entstehenden Überstunden des Bademeisters bezahlte. Auf der hier skizzierten Grundlage wurde noch jahrelang weitergearbeitet, bis dann das Hindenburgstadion mit seinem Freibad die Flussbadeanstalt 1938 ablöste.
Bild oben: Vermutlich ein Schwimmwettkampf in den 1930er Jahren, leider in bescheidener Qualität
Quelle: Nach einem Aufsatz von Gerhard Kraus – veröffentlicht in der Alfelder Zeitung vom 16. Mai 1981
Nachfolgend noch ein Text von Otto Granzow aus den „Alfelder Geschichten“ von 1983 – Diese spiegelt die Flussbadeanstalt aus Sicht eines Zeitzeugen wieder.
Als wir noch in der Leine badeten
Bild oben: Badeszene in den 1910er/1920er Jahren
Wo heute die Leine dicht an dem Schlehbergring vorbeifließt, hatte schon 1892 ein Schwimm- und Badeanstaltsverein eine Flussbadeanstalt errichtet. Den Ausbau und die Erweiterungen nahmen die Mitglieder dieses Vereins vor, als infolge des Hochwassers im Jahre 1909 die ursprüngliche Badeanstalt fast völlig zerstört worden war. Das Wasser der kühlen Leine floss durch zwei aus Holz gezimmerte Becken, und etwas beherzt mussten wir schon sein, wenn wir baden und schwimmen wollten. Nach dem Ersten Weltkrieg übernahm der Schwimmklub „ Poseidon“ diese Badeanstalt.
Bild oben: Brücke über die Leine im Jahr 1927
Bild oben: Die Brücke in den 1930er Jahren – Die Feuerwehr Alfeld beim Gruppenfoto
Über die Leine führte ein Holzsteg. Fest verankert auf großen Tonnen, zum anderen Ufer, und von dort konnten wir auf einem schmalen Trampelpfad nach etwa 200 Metern die Sandbank unterhalb der damaligen Föhrster Holzbrücke erreichen Die Brücke wurde wegen Baufälligkeit vor längerer Zeit abgerissen. Wenn wir nun von hier aus zur Badeanstalt zurückschwammen, uns in der Strömung des Wassers streckenweise treiben ließen, überkam uns ein großes Glücksgefühl in der schönen. freien Natur. Umweltfragen, gar Verschmutzung, beschäftigten uns nicht, denn Industriewerke größerer Art waren weder in Freden noch in Kreiensen an die Leine angeschlossen, und im Übrigen erneuerte sich das Wasser von selbst. Zwar war die Leine nach Regenfällen wie heute etwas lehmig und muddig, doch das störte uns nicht. Auch konnte es mal vorkommen, dass ein totes Kalb oder Schwein vorbeitrieb.
Bild oben: Auf Tonnen (Holzfässern) gelagerter Steg/Brücke über die Leine 1934
In der Badeanstalt hatte der alte Bademeister Wienecke alle Hände voll zu tun, um den Badebetrieb zu überwachen. Später übernahm sein Sohn, immer braungebrannt, das Regiment. Viele Jungen und Mädchen gingen durch seine Schule, denn alle wollten das Schwimmen erlernen und sich möglichst bald freischwimmen. Obwohl es streng verboten war versuchten wir nach den ersten Kenntnissen die vielgepriesene „Tragfähigkeit“ der hier vier Meter tiefen Leine zu erproben: es klappte wunderbar.
Bild oben und unten: Badefreu(n)de in den 1930er Jahren
Die Schwimmvereine „Poseidon und „Wasserfreunde‘ hatten viele Mitglieder und waren am Sommerende stolz auf die neue Anzahl von Freischwimmern. Höhepunkte waren die Schwimmfeste, die wegen ihrer Attraktionen bei der Bevölkerung großen Anklang fanden. Wenn dann bei Eintritt der Dunkelheit der Wassergott das Zeichen zum großen Lampionschwimmen gab, drängten sich die Menschen auf der Leinebrücke und bewunderten das bunte Leben und Treiben auf dem Fluss.
Später, am Ende der zwanziger Jahre, wurde in die Liege- und Spielwiese ein neues Becken aus Beton gebaut, in das Leinewasser gepumpt wurde, das man von Zeit zu Zeit erneuerte, denn es war natürlich schneller dreckig als das Wasser in der bisherigen Anlage. Dafür war es meist etwas wärmer. Hier tummelten sich viele Kinder, die sich mit einer dicken Korkplatte das Schwimmen beibrachten. Oftmals war es in den Becken so muddig, dass man Tauchende nicht erkennen konnte; wodurch allerlei Allotria ermöglicht wurde.
Bild oben: Das 1m- und 3m Sprungbrett
An der Kasse saß die Schwester von Herrn Ewald Wienecke. Sie verkaufte nicht nur Eintrittskarten für 10 Pfennig, sondern auch Süßigkeiten. Aber nur wenige verfügten über Taschengeld. Die meisten verzichteten lieber auf Bonbons, wenn sie dafür am nächsten Tag von ihrer Mutter wieder die Erlaubnis fürs Baden erhielten. Es darf aber auch bemerkt werden, dass es schon für 2 oder 5 Pf irgendeine kleine Nascherei gab. Wir waren jedenfalls sehr glücklich in unserer Flussbadeanstalt, und es trieb uns vorwärts, wenn wir von der Bahnhofstraße in die Vormasch einbogen und bereits den fröhlichen Lärm hörten, der über den hohen Bretterzaun zu uns drang.
Das Ende der Flussbadeanstalt
Am 8. August 1938 kündigte man die Eröffnung des neuen Alfelder Freibades an. Es hieß in einem Zeitungsbericht:
„Heute Abend wird das letzte Mal in der Leine gebadet…“
Damit war das Ende der Alfelder Flussbadeanstalt eingeläutet.
Um die ungefähre Lage der Flussbadeanstalt darzustellen, nachfolgend eine Gegenüberstellung die aber nur perspektivisch zu verstehen ist. Eine exakte Nachstellung ist aufgrund der Bebauung, in diesem Fall der Schlehbergring, heute leider nicht mehr möglich.
Heute erinnert an dieser Stelle absolute nichts an die Flussbadeanstalt.