Seine engen Freunde nannten ihn „Onkel Willy“, einfach nur Willy schien ihnen zu respektlos einem mehr als 1.90 Meter großen und fülligen Mann, der eine gewisse Autorität ausstrahlte und dabei die Gutmütigkeit in Person war, wie die meisten gutmütigen Männer. Onkel Willy gehörte zu der Familie der Hagenbecks, die von Hamburg aus ihren Namen als Einrichter eines Freilandzoos
weltbekannt machte und die mit Tierschauen übers Land zogen und dann Zirkusdirektoren wurden. Onkel Willy hatte es nicht von ungefähr in die Kleinstadt verschlagen, war hier doch für Jahrzehnte der Sitz einer der größten Handlungen mit exotischen Tieren.
Auch sie litt natürlich unter Krieg und Kriegsfolgen, aber wenn Onkel Willy eine Möglichkeit sah mit Tieren zusammen zu arbeiten, dann hier in der Stadt. Die alten Verbindungen zu den Zoos der Welt und den Fanggebieten waren nicht gänzlich zerrissen.
Und so trafen wir Onkel Willy dann auch bald wieder in den Gehegen der Tierhandlungsfirma. Er hatte den Auftrag übernommen, Tiere, vor allem Bären, manegereif zu machen. Hier konnten wir stundenlang zuschauen und lernen, wie man mit Tieren umgehen muss. Er war ein Genie, er brauchte keine Peitsche er lehrte die Tiere die Kunststücke mit viel Geduld und Einfühlungsvermögen und vor allem Liebe.
Er schlug die Tiere nie, auch wenn sie noch so schwierig waren. Der Herr Direktor Hagenbeck, wie man ihn voller Respekt nannte, war bald eine stadtbekannte Persönlichkeit, nicht zuletzt durch seinen Hang zur Geselligkeit.
Er war ein gerngesehener Gast, der auch mal fünf grade sein lassen konnte, in Gaststätten und Hotels.
Und hier fängt nun die Geschichte nach dem etwas lang geratenen Vorspann an.
Frau Hagenbeck war Holländerin und musste ihren Willy öfter wegen geschäftlicher Verabredungen im Ausland alleine lassen. Was Wunder, dass die Einsamkeit nach stundenlanger Arbeit mit seiner Braunbärgruppe auf den Geist ging. Er suchte Geselligkeit und Ablenkung, diese fand er in reichlichem Masse in unserer Runde am runden Tisch oder noch öfter an der Theke. Was natürlich seiner Frau, einer sehr resoluten Person gar nicht recht war, und die uns dann auch oft genug regelrecht ausschimpfte, wir hätten Onkel Willy auf dem Gewissen.
Erschien sie plötzlich in der Runde, waren wir ganz schnell verschwunden. Im Grunde war sie ja nur besorgt um ihren Mann, der, das sei zugegeben, des Guten manchmal etwas zu viel tat.
Das Paar erschien eines Abends und ließ sich in der „Polsterklasse“ nieder. Willy rief den Ober. „Nun lass mich“, sagte die liebe Frau, „ich bestelle“.
Und sie bestellte: „Bitte für mich eine Kaffee und eine Cognac und für meine Mann eine Apfelsaft.“
Willy zuckte zusammen, „Was Apfelsaft? willst Du mich vergiften?“ Sie meinte in einer längeren Ansprache, bei der Oberkellner Fritze sein Serviertuch verzweifelt drehte, es sei nun Schluss mit dem Alkohol, sie werde darauf achten, und so weiter, und so weiter…
Willy bekam seinen Apfelsaft. Seinem Gesicht nach muss das ein ganz saurer Jahrgang gewesen sein, denn er trank nur in winzigen Schlückchen. Dann musste er mal raus. „Entschuldige mich einen Moment, ich glaube, ich habe mich erkältet.“ sagte er zu seiner Frau und der Weg zur Toilette führte nach wenigen Schritten aus dem Gesichtskreis von Frau Hagenbeck. Links um die Ecke befand sich ein schmales Paneel an der Wand und auf diesem, stand ein Klarer bereit, so oft Onkel Willy vorbeikam. Oh ja, der Herr Ober war ein Mann von jahrelanger Erfahrung. Willy kam, und weg war der doppelte Steinhäger, das Getränk, das Willy so liebte.
Als er aus der Toilette zurück kam war das Glas wie durch ein Wunder wieder gefüllt. Weg war auch dieser Steinhäger. „Du scheinst Dich wirklich erkältet zu haben“, sagte die liebende Gattin, als die Abstände zwischen Apfelsaft und „Örtchen“ immer kürzer wurden.
„Ach“, meinte Willy, „das ist gar nicht so schlimm, das geht wieder vorüber.“ Seine Frau sah ihn misstrauisch von der Seite an. Willy wurde immer lustiger. Dann passierte es: Als er beim fünften Male und dem zweiten Apfelsaft sich fast neben den Stuhl setzte und im letzten Moment von dem Herrn Ober aufgefangen wurde, stöhnte die bessere Hälfte laut und sagte die klassischen Worte: „Nun siehst Du, Willy, wohin das führt, nun kannst Du noch nicht mal mehr Apfelsaft vertragen.“ Als Willy dann bezahlte, drückte er dem Ober ein fürstliches Trinkgeld in die Hand. „Weil Sie mich so unterstützt haben“, flüsterte er. Oberkellner Fritze wusste Bescheid, er servierte in Zukunft noch öfter diesen starken Apfelsaft. Wir haben dann später Onkel Willy als Zirkusdirektor und bewundernswerte Tierdompteur in der Manege erlebt und waren Ehrengäste bei so mancher Premiere. Er war ein großer Mann, nicht nur in der Statur.
Wir haben ihn auch zur letzten Ruhe geleitet.