Damals wie heute: Der Beginn der Zuckerrüben Kampagne läutete eine rege Tätigkeit ein. Nur damals, als der Zucker noch eine Kostbarkeit für den Normalverbraucher war, und meist von brauner Farbe, beschränkte sich die Aktivität nicht nur auf den Tag ,wenn die hochbeladenen Wagen mit Pferd oder Trecker in Richtung Zuckerfabrik Östrum gezogen wurden. Auch nachts rollten die Wagen, natürlich kleinere Fahrzeuge von Hand gezogen und möglichst still und heimlich. Nicht nur, dass die Besatzungsmacht die Polizeistunde noch nicht „aufgehoben hatte, auch sonst war das alles nichts für das Tageslicht, was sich da tat.
Denn wer den Winter überleben wollte, der musste was tun. Der pfiff auf Polizeistunde und auch auf einige Gebote amtlicher und christlicher Ordnungen.
In vielen Häusern hob dann ein gewaltiges Kochen und Brennen an. Gekocht wurde Rübensaft, gebrannt wurde Rübenschnaps. Nun gut: mancher Bauer griff „seinem“ Vertriebenen unter die Arme. Viele hatten keinen „eigenen“ Bauern und griffen zur Selbsthilfe. Sie spielten einfach „Vogel unter dem Himmel“ sie hatten nicht gesät und ernteten doch.
Eckart war Grafiker, ihn hatte es auch ins Dorf verschlagen. Er kam aus Berlin und sammelte hier seine ersten landwirtschaftlichen Erfahrungen, unter anderem auch mit der sprichwörtlichen Schläue.
So sagte ich an einem Herbsttag, „Eckart, wir müssen was tun sonst schieben wir im Winter Kohldampf.“ „Und Durst“ setzte er hinzu. „Ich habe für diese Nacht einen Handwagen organisiert“, sagte er „sie verspricht dunkel zu werden. Nicht nur dunkel.“ Als wir dann loszogen nach Mitternacht in Richtung Almstedt, wo wir ein prächtiges Rübenfeld entdeckt hatten, regnete es in Strömen. „Um so besser“, sagte Eckard und hüllte sich in seinen alten Soldatenmantel. Und ab ging die Post.
„Hier muss das Feld sein.“ flüsterte mein Kamerad. Wir versanken bis zu den Knöcheln in sumpfiger Erde.
„Mann haben wir Glück, der Landmann hat die Rüben bereits gerodet, wir brauchen nur einzupacken.“ Doch da hatte er sich teilweise geirrt, teilweise. Als wir zum ersten Blätterhaufen kamen lagen darunter nicht jede Menge Rüben, es waren nur Blätter. Nichts als Blätter. Auch beim nächsten Haufen: Blätter und keine Rübe. Ich verfluchte den Landmann, das Wetter und die ganze Lage. „Es hilft nichts, einer muss zurück und Spaten und Heugabel holen“, sagte ich. Eckart verschwand, ich hielt Wache. Der Regen lief mir in den Kragen, meine Finger wurden steif, und überhaupt hatte ich die Schnauze voll.
„Psst, wo bist Du,“ Eckart war wieder da „Wir fangen hier an mit dem Ausgraben und dann die Reihe runter.“
Wir machten uns ans Werk. Wer schon mal bei Regen, tiefem Boden in einer Nacht schwarz wie Kohlenkeller, bei kaltem Wind per Hand Rüben ausgegraben hat, weiß wovon ich rede.
Und das nicht nur einmal sondern dreimal in der Nacht. Aber wir schafften es, im Keller häufte sich das testbare Gut. Am nächsten Nachmittag traf ich Ernst auf meinem Gang durch das Dorf. Ernst war einer der größten Bauern im Ort und ein Pferdenarr. Er hatte Nachtwache bei einer Stute gehalten die fohlen sollte. Und das erzählte er mir mit allen Einzelheiten. Dann sagte er noch: „Da müssen in der letzten Nacht ein paar Verrückte unterwegs gewesen sein.“ Ernst begann lauthals zu lachen. „Ich habe ja nichts dagegen, wenn die Leute mir ein paar Rüben vom Feld holen, dafür lasse ich ja immer ein paar Haufen liegen, wenn ich gerodet habe. Aber die von gestern, die müssen einen Hammer gehabt haben.“ Er wollte sich fast kranklachen. Ich verzog meinen Mund zu einem Grinsen, denn mir schwante was. „Die haben doch die Rüben ausgegraben, dabei lagen welche fix und fertig zum Abtransport unter dem Blätterhaufen“, sagte Ernst.
“ Aber….“ im letzten Moment stoppte ich, „Ja?“, fragte Ernst „Ach, nichts besonderes“, sagte ich schnell. „Natürlich waren die ersten beiden Haufen leer, aber die anderen….“ Lachen verschwand er und ich stand da wie ein begossener Pudel. Später habe ich Ernst dann alles erzählt, da hat er sich noch einmal krankgelacht. So haben dann Flüchtlinge und Evakuierte manchmal zur Heiterkeit der Einheimischen beigetragen. Der Rübensaft wurde prima.
Der Schnaps auch. Dazu wurde bekanntlich ein Brennapparat benötigt, der gegen Naturalien d. h. Anteil an dem Gebrannten von Haus zu Haus wanderte. Auch nachts natürlich. Verbessert wurde das Getränk mit allen möglichen und unmöglichen Zutaten. Mir wurde mal ein Schnaps angeboten, von dem ich aus dem Glas etwas verschüttete. Da sah ich mit Entsetzen wie die Farbe auf dem Fußboden verschwand unter dem Tropfen meines Getränks.
Da man bekanntlich Alkohol mit Steuern belegte, machte sich in jener Zeit ein Beamter der zuständigen Behörde auf den Weg in mein Dorf. Und überall fand er Steuersünder. Da brach es aus ihm heraus: „Ich glaube, der einzige Ort an dem in diesem Dorf kein Schnaps gebrannt wird, ist das Pfarrhaus“, stöhnte er.
Antwortete sein Gesprächspartner: „Nein, nein, das stimmt nicht, der Küster brennt auch.“